WETTBEWERBSRECHT
BVerfG zur Veröffentlichung von Rechtsanwalts-Ranglisten
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Die 1. Kammer des Ersten Senats hat einer Verfassungsbeschwerde gegen
zivilgerichtliche Entscheidungen stattgegeben, die den
Beschwerdeführern (Bf) untersagten, in dem von ihnen verbreiteten
"JUVE-Handbuch" Anwalts-Ranglisten zu veröffentlichen. Die
entgegenstehenden gerichtlichen Entscheidungen wurden aufgehoben, die
Sache zur Neuverhandlung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
1. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Das Handbuch informiert vornehmlich über die Tätigkeit
wirtschaftsrechtlich orientierter Anwaltskanzleien. Sein besonderes und
allein streitiges Merkmal sind optisch hervorgehobene Listen, in denen
namentlich genannten Anwaltskanzleien ein bestimmter Rang zugewiesen
wird. In der Einleitung des Handbuchs wird erläutert, dass die
redaktionellen Mitteilungen auf Befragungen mit Akteuren am Markt,
Anwälten, Mandanten und juristischen Akademikern beruhen. Unter jeder
Rangliste findet sich der Hinweis, die Auswahl der Kanzleien sei eine
subjektive und gebe lediglich die auf zahlreichen Interviews basierende
Recherche der Redaktion wieder. Zusätzlich enthält das Handbuch einen
Werbeteil, in dem Rechtsanwälte gegen Entgelt Inserate aufgeben.Das
Oberlandesgericht gab im Berufungsverfahren der gegen die Ranglisten
gerichteten Unterlassungsklage zweier Münchner Rechtsanwälte statt. Es
bejahte einen Verstoß gegen § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren
Wettbewerb (UWG) unter dem Gesichtspunkt der "getarnten Werbung". Die
Revision der Bf blieb ohne Erfolg.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügten sie eine Verletzung ihres
Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Im Verlauf des Verfahrens teilten sie
mit, in der geplanten 5. Auflage des Handbuchs die Grundlagen der
wertenden Aussagen über die besprochenen Anwaltskanzleien eingehender
darzulegen und auch unter jeder Rangliste den subjektiven Charakter der
Bewertung deutlicher hervortreten zu lassen. Die Kammer hat alsdann dem
Eilantrag, die Veröffentlichung der Neuauflage zu ermöglichen, in der
einstweiligen Anordnung vom 1. August 2002 stattgegeben.
2. In der Entscheidung der Kammer heißt es unter Bezugnahme auf die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Wesentlichen:
Das angegriffene Unterlassungsgebot verletzt die Bf in ihrem Grundrecht
auf Meinungsfreiheit.
a) Die untersagten Ranglisten enthalten abweichend von der Ansicht des
Oberlandesgerichts nicht Tatsachen, sondern wertende Äußerungen über
die Leistungen der aufgeführten Kanzleien. Die Einordnung einer
Äußerung als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung ist nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die rechtliche
Beurteilung von weichenstellender Bedeutung. Werturteile sind
grundsätzlich frei; sie können nur unter besonderen Umständen
beschränkt werden.
b) Die bisherigen Ausführungen der Gerichte reichen nicht für die
Feststellung, dass die Ranglisten ein in § 1 UWG geschütztes Rechtsgut
gefährden, dessen Schutz Vorrang vor der Freiheit der Meinungsäußerung
hat. Schutzgut des § 1 UWG ist insbesondere der Leistungswettbewerb.
Hier geht es um den Wettbewerb zwischen Rechtsanwälten. Die Ranglisten
betreffen Transparenz und Offenheit des Anwaltsmarktes. Durch
Beschränkung auf verhältnismäßig wenige Kanzleien, insbesondere auf
Großkanzleien, geben sie diesen einen Wettbewerbsvorsprung; auch werden
neu gegründete Kanzleien allenfalls mit erheblicher zeitlicher
Verzögerung einbezogen.
Indem das Oberlandesgericht allein auf die wettbewerbsrechtliche
Fallgruppe der "getarnten Werbung" abhebt, lässt es Bedeutung und
Tragweite von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG außer Acht. Die Fallgruppe ist in
hohem Maße auf wertende Einschätzungen und Prognosen angewiesen. Daher
muss zusätzlich im konkreten Fall festgestellt werden, ob das von § 1
UWG geschützte Rechtsgut gefährdet ist. Hieran fehlt es. Das
Oberlandesgericht ist insbesondere nicht auf die Frage eingegangen, ob
etwa die Werbewirkung journalistischer Beiträge dem Leistungswettbewerb
in der Anwaltschaft zuwiderlaufe, ob die angesprochenen Kreise die im
Handbuch dargelegten Bewertungsgrundlagen nicht selbst zu werten
wüssten oder ob der Verlag in sittenwidriger Weise auf die Aufgabe von
Inseraten hingewirkt habe.
c) Sollte schließlich eine hinreichende Gefährdung des Schutzgutes
festgestellt werden, fehlt es an tragfähigen Erwägungen zur
Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsgebots. Möglicherweise reichen
klarstellende Hinweise auf die Quellen der Ranglisten zur Abwehr einer
solchen Gefährdung aus. Unter diesem Gesichtspunkt sind bei der
Neuverhandlung der Sache auch die für die 5. Auflage angekündigten
zusätzlichen Erläuterungen zu prüfen.
Beschluss vom 7. November 2002 - Az. 1 BvR 580/02 -