RECHT ALLGEMEIN
Kein Wegfall von ALG II bei einem Teilzeit - Lehrgang
Autor: Herr Paul Witkowski - Dolmetscher (beeidigt) und Übersetzer (ermächtigt)
Der Fall:
Das JobCenter bewilligte dem Antragsteller, der für einen Fernlehrgang eingeschrieben ist, auf dessen Antrag vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Nachdem das JobCenter ihn erfolglos aufgefordert hatte, einen Nachweis über die Beantragung elternunabhängiger Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) zu erbringen, entzog das JobCenter die Leistungen wegen fehlender Mitwirkung.
Tragende Entscheidungsgründe des Beschlusses des Landessozialgerichts vom 29.04.2011 (Az.: L 5 AS 525/11 B ER; Quelle juris)
„(...) Der Antragsgegner kann diesen Bescheid nicht auf § 66 Abs. 1 SGB I stützen.
Der von dem Antragsteller geforderte Nachweis der Antragstellung bei der BAföG-Behörde ist für die Voraussetzungen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unerheblich.
Für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II kommt es allein darauf an, ob die Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig ist. Diese Frage richtet sich grundsätzlich nach § 2 BAföG, wobei die Besonderheiten des Fernunterrichts in § 3 BAföG geregelt sind (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. August 2010, B 14 AS 24/09 R).
Für die Ausnahmen aus § 7 Abs. 6 SGB II sowie aus § 22 Abs. 7 SGB II beziehungsweise aus § 27 SGB II in der ab dem 1. April 2011 geltenden Fassung ist entscheidend, aus welchen Gründen kein Anspruch auf BAföG-Leistungen besteht beziehungsweise ob und gegebenenfalls in welchem Umfang BAföG-Leistungen bewilligt worden sind.
Einem Verstoß des Hilfesuchenden gegen seine aus § 12a SGB II folgende Pflicht, einen Antrag auf andere Sozialleistungen zu stellen, sofern das zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist (vgl. hierzu BT-Drucksache 16/7460, S. 12), kann der Leistungsträger gemäß § 5 Abs. 3 SGB II dadurch begegnen, dass er den Antrag anstelle des Hilfesuchenden stellt.
Der vom Antragsteller wahrgenommene Fernlehrgang ist keine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung im Sinne des § 7 Abs. 5 SGB II, so dass der Antragsteller von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht ausgeschlossen ist. Es handelt sich um eine nicht förderungsfähige Teilzeitausbildung (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. November 2007, L 14 B 1224/07 AS ER; Beschluss vom 1. August 2007, L 28 B 1098/07 AS ER; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. Juni 2009, L 13 AS 39/09 B ER; Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 15. Januar 2007, L 7 AS 1130/06 ER). Entgegen § 3 Abs. 3 BAföG nimmt die Teilnahme an dem Fernlehrgang die Arbeitskraft des Antragstellers nicht voll in Anspruch.
Nach Ziffer 3.3.4 in Verbindung mit Ziffer 3.5.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz vom 15. Oktober 1991, deren Anwendung der Senat für sachgerecht hält (ebenso Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 10. Dezember 1992, 9 UE 1540/91), kann von einer vollen Inanspruchnahme nur ausgegangen werden, wenn die Ausbildung nach den Ausbildungsbestimmungen oder der allgemeinen Erfahrung (Unterricht, Praktika, Vorbereitung) 40 Wochenstunden erfordert."
Fazit
Das JobCenter kann nicht ohne Weiteres die ALG II Leistungen einstellen, nur weil der Antragssteller keine Nachweise über die Förderungsfähigkeit der Fernlehrgangs nach dem BAföG beigebracht hat. Denn dies folgt zu einem Zirkelschluss: Falls der Leistungsempfänger von ALG II einen Nachweis über die Förderungsfähigkeit seines Fernlehrgangs beibringt, verliert er ohnehin den Anspruch auf ALG II. Im Grunde will das JobCenter dem Betroffenen die Leistungen also deshalb entziehen, weil er nicht einen bestimmten Nachweis erbracht hat, der dann zur Folge hätte, dass er ohnehin nicht ALG II berechtigt ist.
Auf diesen irrsinnigen Zirkelschluss im Rahmen des § 12a SGB II ist zu achten. Bisweilen begnügt sich das JobCenter bei der Ablehnung von ALG II Leistungen mit der Begründung, dass der Betroffene „dem Grunde nach" BAföG - Berechtigter, ggf. Wohngeld - Berechtigter sei. Dieser Ablehnung ist zumeist rechtswidrig und sollte mit einem Einspruch angefochten werden, da das JobCenter selbst nicht berechtigt ist, darüber zu entscheiden, ob eine ALG II ausschließende Berechtigung auf eine BAföG - Förderung oder ggf. auf Wohngeld vorliegt.
Einen Bescheid über die (Nicht-) Berechtigung zu einer jeweiligen dem ALG II vorrangigen Sozialleistung kann immer nur die dafür zuständiger Behörde ausstellen.
Allerdings ist es für den Betroffenen im vorliegenden Fall ratsam, selbst durch geeignete und schlüssige Begründung gegenüber dem JobCenter glaubhaft zu machen, dass die Teilzeitausbildung in einem Fernlehrgang weniger als 40 Wochenstunden in Anspruch nimmt.
Dipl.-Jur. Paul Witkowski
Am Plessenfelde 8, 30659 Hannover
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