VERWALTUNGSRECHT
Keine rechtsextreme Demonstration am Holocaust-Gedenktag
Experten-Branchenbuch.de,
zuletzt bearbeitet am:
Mit Beschluss vom 26. Januar 2001 hat die 1. Kammer des Ersten Senats
des BVerfG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
abgelehnt, mit dem der Veranstalter einer rechtsextremen Demonstration
durchsetzen wollte, dass diese am 27. Januar 2001 stattfinden kann.
1. Der Antragsteller (Ast.) hatte die Kundgebung mit dem Thema "Für
Meinungsfreiheit - Demo statt Infotisch!" für den 27. Januar 2001
angemeldet. Die Versammlungsbehörde versuchte eine einvernehmliche
Verlegung des Demonstrationstermines auf den 28. Januar zu erreichen.
Hierauf ließ der Ast. sich nicht ein. Er meldete allerdings für
den 28. Januar 2001 eine identische Veranstaltung an.
Die Versammlungsbehörde verfügte daraufhin im Wege der Auflage, dass
der für den 27. Januar angemeldete Umzug auf den 28. Januar verlegt
werde. Zur Begründung verwies sie darauf, dass rechtsextreme Aufzüge
und Kundgebungen an dem Holocaust Gedenktag eine erhebliche Störung der
öffentlichen Ordnung darstellten. Die Herabwürdigung des Gedenktages
beeinträchtige quer durch alle Bevölkerungsschichten das sittliche
Empfinden aller Bürgerinnen und Bürger. Der Eilantrag des Ast. blieb
in beiden Instanzen erfolglos.
2. Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG wies den Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung zurück. In den Gründen, deren
schriftliche Fassung jetzt nachgereicht wurde, führt sie im
Wesentlichen aus:
Bei der in Verfahren der einstweiligen Anordnung vorzunehmenden
Folgenabwägung kann das BVerfG in Eilfällen wie dem vorliegenden in der
Regel den Sachverhalt nicht selbst ermitteln und eigenständig würdigen.
Es legt in diesen Fällen seiner Abwägung regelmäßig die
Tatsachenfeststellungen und -würdigungen in den angegriffenen
Entscheidungen zu Grunde, es sei denn, diese sind offensichtlich
fehlsam. Entsprechendes gilt, wenn das für eine Einschränkung der
Versammlungsfreiheit herangezogene Schutzgut in rechtlicher Hinsicht
die Einschränkung eindeutig nicht trägt.
Im vorliegenden Fall ist die Argumentation der Versammlungsbehörde und
der Gerichte jedoch ohne weiteres nachvollziehbar. Zwar trägt eine
bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Allgemeinen ein
Versammlungsverbot nicht. Die öffentliche Ordnung scheidet aber nicht
grundsätzlich als Schutzgut für eine Einschränkung des
Versammlungsrechts unterhalb der Verbotsschwelle aus. Die öffentliche
Ordnung kann betroffen werden, wenn einem bestimmten Tag ein in der
Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft
zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer
Weise angegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder
ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden. Es ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Versammlungsbehörde
der Durchführung eines Aufzugs durch Personen aus dem Umfeld der
rechtsextremen "Kameradschaften" an dem Jahrestag der Befreiung des
Konzentrationslagers Ausschwitz eine Provokationswirkung beimisst und
dies als Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des sittlichen
Empfindens der Bürgerinnen und Bürger bewertet.
Das aus Art. 8 Abs. 1 GG abzuleitende Selbstbestimmungsrecht des
Veranstalters über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt einer Demonstration
steht der Anordnung der Auflage, diese zeitlich zu verschieben, nicht
entgegen. Aus diesem Selbstbestimmungsrecht folgt lediglich, dass der
Veranstalter sein Demonstrationsinteresse eigenständig konkretisieren
darf. Kollidiert sein Grundrecht mit anderen Rechtsgütern, steht ihm
nicht auch ein Bestimmungsrecht darüber zu, wie die Interessenkollision
rechtlich bewältigt werden kann. Die Abwägung, ob und wieweit
gegenläufige Interessen die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit
rechtfertigen, obliegt der Versammlungsbehörde und den mit der
rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten.
Wenn die Versammlungsbehörde die Auflage auf die Beeinträchtigung der
öffentlichen Ordnung stützen konnte, kommt diesem Gesichtspunkt
gegenüber dem Interesse des Ast., gerade an diesem Tag zu
demonstrieren, im Rahmen der Abwägung der Vorrang zu.
Beschluss vom 26. Januar 2001 - Az. 1 BvQ 9/01 -
Die 1. Kammer des Ersten Senats hat einen weiteren Antrag desselben
Ast. vom 9. Februar 2001 mit Beschluss vom gleichen Tage abgelehnt und
dem Ast. eine Missbrauchsgebühr in Höhe von 3.000,- DM auferlegt.
Der Ast. hatte sich gegen das Verbot gewandt, auf einer Kundgebung in
Hagen in Sprechchören und Parolen den Ausdruck "Nationaler Widerstand"
zu verwenden.
Beschluss vom 9. Februar 2001 - Az. 1 BvQ 10/01