RECHT ALLGEMEIN
Kindergeld für Polen Teil 4: Fallbeispiele
Autor: Herr Paul Witkowski - Dolmetscher (beeidigt) und Übersetzer (ermächtigt)
Die Familienkasse nennt in ihrer aktuellen Durchführungsanweisung zum überstaatlichen Recht (Stand Januar 2010) lediglich einen Fall der für die kindergeldrechtliche Fallpraxis Deutschland/ Polen relevant sein könnte:
Wenn die Mutter mit dem Kind in Polen wohnt, der Vater aber in Deutschland wohnt und arbeitet, dann ist deutsches Kindergeld zu zahlen.
Dieser Fall bereitet selten Schwierigkeiten. Daneben bestehen aber einige andere Konstellationen, bei denen die Rechtslage sehr undurchsichtig ist. Hierzu einige Beispiele.
1. Fall: „Erziehungsurlaub in Polen"
Die in Polen erwerbstätige Mutter A beansprucht in Polen einen Erziehungsurlaub von 3 Jahren. Sie ist alleinerziehend, der Aufenthalt des Vaters ist nicht bekannt. Während des Erziehungsurlaubs zieht sie mit ihrem Kind nach Deutschland zu ihrem neuen Lebensgefährten B, wird in Deutschland aber nicht erwerbstätig.
In diesem Fall lehnt die Familienkasse den Anspruch auf Kindergeld ab, weil die Mutter während ihres Erziehungsurlaubs in das System der sozialen Sicherheit in Polen integriert war und somit für diese Zeit ausschließlich den Rechtsvorschriften Polens unterlag.
Maßgeblich dafür ist Art. 11 der VO (EG) Nr. 883/2004:
Art.11 Abs.1 Satz 1 lautet: „Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedsstaats."
Art.11 Abs.3 lit.a lautet: „Eine Person, die in einem Mitgliedsstaat eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedsstaats."
Damit wird deutlich, dass die Anknüpfung an den Beschäftigungsort auch dann maßgeblich ist, wenn die Mutter in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) wohnt.
Entscheidend ist hier folgendes: Während des Erziehungsurlaubs in Polen gilt A dort immer noch als Arbeitnehmerin und unterliegt somit ausschließlich den polnischen Rechtsvorschriften über Familienleistungen. Nach Art. 186 Abs. 2 des polnischen Arbeitsgesetzes („kodeks pracy") genießt A während des Erziehungsurlaubs einen Kündigungsschutz gegen ihren Arbeitgeber in Polen.
Dieses sog. Beschäftigungslandprinzip ist prägend für die Vorschriften über Familienleistungen in der neuen Verordnung EG 883/2004.
Der Erziehungsurlaub in Polen wird damit zum „K.O. - Kriterium" für das deutsche Kindergeld.
2. Fall: „Die späte Selbständigkeit"
Die alleinerziehende Mutter A zieht zu ihrem neuen Lebensgefährten B
von Polen nach Deutschland. Das Kind bleibt im Haushalt der Großeltern in Polen.
Die Mutter ist in Deutschland zunächst nicht erwerbstätig. Sie und ihr Kind werden von B finanziell unterhalten. Nach einem Jahr entschließt sich A, in Deutschland ein Reinigungsgewerbe zu eröffnen.
Hier versuchen die Familienkassen bisweilen, den Kindergeldanspruch der Mutter auf Grundlage von § 64 Abs.2 EStG abzulehnen, mit der Begründung, dass das Kind im Haushalt der Großeltern aufgenommen wurde. Bescheide dieser Art sind mittlerweile durch die Rechtsprechung des Finanzgerichts Rheinland - Pfalz für rechtswidrig erklärt worden. Sie sind weder mit der Verordnung EG Nr. 883/2004 und erst recht nicht mit den deutschen Vorschriften aus §§ 62 ff. EStG vereinbar.
Gegen einen solchen Aufhebungsbescheid der Familienkasse sollte Einspruch eingelegt werden. Dabei ist darauf zu achten, dass der Einspruch juristisch fundiert begründet wird, denn wenn die Familienkasse auch dem Einspruch nicht abhilft, bleibt nur das zeit - und kostenintensive Klageverfahren vor dem Finanzgericht.
An dieser Stelle Grundsätzliches zur Beantragung von Kindergeld für EU Bürger:
Das Procedere rund um das Kindergeld ist ein Massenverfahren. Den Antragssteller treffen erhöhte Mitwirkungspflichten bei dem Antragsverfahren bei der Familienkasse. Die Familienkasse wiederum entscheidet allein nach Lage der Akten. Zum Antrag auf Kindergeld werden viele Dokumente angefordert. Zunächst kann ein formloser Antrag gestellt werden. Die Familienkasse wird die erforderlichen Dokumente eigenständig nachfordern.
In jedem Fall wird die Familienkasse nach entsprechenden Einkommensnachweisen fragen. Dies sind z.B. Steuerbescheide, Gewinn-/ Verlustrechnung, Mietzahlungsnachweise.
Damit will sie sicherstellen, dass das Kindergeld ab dem Zeitraum gezahlt wird, ab dem sich der Antragssteller rechtmäßig nach dem Freizügigkeitsgesetz EU in Deutschland aufhält.
Allein die Vorlage der Freizügigkeitsbescheinigung und der Meldebescheinigung vom Ordnungsamt reichen dazu nicht aus.
Deshalb gilt: Nach den ersten drei Monaten lässt sich ein legaler Aufenthalt in Deutschland für polnische und andere EU Bürger nur durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit glaubhaft machen (mit Ausnahme der Entsendung).
Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ist zwingende Voraussetzung für die Zahlung von Kindergeld für EU Bürger, die neu nach Deutschland übergesiedelt sind. Dies kann eine selbständige Tätigkeit (Gewerbe) sein oder sogar ein 400 Euro Basis Job (sog. Minijob), soweit die Wochenarbeitszeit 12 Stunden beträgt.
Selbst wenn die Mutter nachweist, dass sie finanziell von ihrem Lebensgefährten unterhalten wird, erfüllt sie nicht die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld. Solange sie ihren Lebensgefährten nicht heiratet, wird sein Einkommen ihr nicht zugerechnet. Damit verbleibt aber nur der Anspruch auf Familienleistungen in Polen, der den Anspruch auf deutsches Kindergeld nach § 65 EStG „sperrt".
Erst durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in Deutschland wird der Kindesmutter im obigen Fall deutsches Kindergeld zugesprochen.
Dipl.-Jur. Paul Witkowski
Am Plessenfelde 8, 30659 Hannover
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