BERUFSRECHT
Zur Gebietsbezeichnung "Facharzt f. Allgemeinmedizin" & weiterer Gebietsbezeichnungen
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Zum landesrechtlichen Verbot, neben der Gebietsbezeichnung
"Facharzt für Allgemeinmedizin" eine weitere Gebietsbezeichnung
zu führen
Ärzte mit der Gebietsbezeichnung Allgemeinmedizin, die sich in weiteren
Gebieten spezialisieren und betätigen dürfen, sind berechtigt, dies
öffentlich bekanntzugeben. Dies entschied der Erste Senat mit Beschluss
vom 29. Oktober 2002.
1. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde (Vb) ist die berufsgerichtliche
Verurteilung eines Arztes in Baden-Württemberg, der die Anerkennung als
Kinderarzt und als Allgemeinmediziner besitzt (Beschwerdeführer; Bf).
Er hatte sich als Arzt für Allgemeinmedizin niedergelassen. Neben der
Gebietsbezeichnung "Allgemeinmedizin" führte er auf Briefbögen,
Rezeptvordrucken und in Zeitungsanzeigen auch die Gebietsbezeichnung
"Kinderarzt". Aufgrund einer Selbstanzeige wurde er mit einer Warnung
gemaßregelt. Der zentrale Vorwurf bestand darin, dass er entgegen dem
landesrechtlichen Verbot die Gebietsbezeichnung "Allgemeinmedizin"
neben einer besonderen Gebietsbezeichnung geführt habe. Rechtsmittel
blieben erfolglos. Dagegen richtete sich seine - erfolgreiche - Vb.
Zum Hintergrund:
Zum Zeitpunkt der sog. Facharzt-Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1972 galt ein striktes Verbot, mehr
als eine Facharztbezeichnung zu führen. Das Bundesverfassungsgericht
entschied damals, dass durch dieses Verbot solche Ärzte, die aufgrund
ihrer Ausbildung berechtigt waren, mehrere Facharztbezeichnungen zu
führen, unzumutbar eingeschränkt und in ihrer Berufsausübungsfreiheit
nach Art. 12 Abs. 1 GG verletzt wurden. Diese Entscheidung ging von den
damaligen tatsächlichen Voraussetzungen einer sinnvollen Abgrenzung
zwischen den praktischen Ärzten ohne Gebietsbezeichnung und den
Fachärzten (damals 19 Fachgebiete und 5 Teilgebietsbezeichnungen) aus.
Dies hat sich grundlegend verändert: Die vertragsärztliche Zulassung
setzt inzwischen die Weiterbildung zum Facharzt voraus. Deshalb ist
heute auch der Allgemeinarzt regelmäßig nach entsprechender
Weiterbildung Facharzt für Allgemeinmedizin. Es existieren etwa 160
Weiterbildungsqualifikationen sowie 40 unterschiedliche
Facharztbezeichnungen. Nach dem Stand vom 31. Dezember 2000 sind etwa
neunzig Prozent der niedergelassenen Ärzte zum Facharzt weitergebildet,
davon mehr als dreißig Prozent Allgemeinmediziner. Diese allein dürfen
jedoch keine weitere Gebietsbezeichnung führen. Dies verbieten alle
Ländergesetze mit Ausnahme desjenigen in Sachsen. § 39 Abs.3 des
baden-württembergischen Kammergesetzes (vgl. Anlage) ist eine Reaktion
auf die Facharzt-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
2. Der Erste Senat stellte fest, dass § 39 Abs. 3 Halbsatz 1 des
baden-württembergischen Kammergesetzes in der Fassung vom 16. März 1995
und die darauf beruhenden berufsgerichtlichen Urteile den Bf in
verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise in seiner freien
Berufsausübung einschränken. Die berufsgerichtlichen Entscheidungen
wurden aufgehoben, die Sache an das Bezirksberufsgericht für Ärzte
zurückverwiesen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen
Eingriffe in die Berufsfreiheit nicht weitergehen, als es die sie
rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern. Art. 12 Abs. 1 GG schützt
auch die berufliche Außendarstellung der Grundrechtsträger, mit der den
Nachfragern die erforderlichen Informationen für die Inanspruchnahme
der Dienste vermittelt werden. Das Verbot, erworbene Kenntnisse und
Fähigkeiten, die in rechtmäßig erworbenen Titeln und
Berufsbezeichnungen ihren Niederschlag gefunden haben, im Berufsleben
zu nutzen, ist deshalb an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen.
Für das landesrechtliche Verbot, eine Doppelqualifikation kundzutun,
fehlt es an tragfähigen berufsbezogenen Gründen des Gemeinwohls.
Bislang wurde als solcher Gemeinwohlbelang die Sicherstellung einer
hohen Qualität der medizinischen Versorgung der Bevölkerung angesehen.
Das Verbot der Doppelbezeichnung dient aber nicht dem Qualitätserhalt
bei dem einzelnen Betroffenen. Es ist nicht erkennbar, inwiefern die
medizinische Versorgung der Bevölkerung gefährdet sein könnte, wenn
einem Arzt mit Doppelqualifikation neben der Betätigung in beiden
Bereichen erlaubt wird, seine beiden Qualifikationen auch nach außen
kundzutun. Da der Arzt unbestrittenermaßen die Anerkennung als Facharzt
für mehr als eine Fachrichtung erwerben darf, kann ihm nicht von
vornherein abgesprochen werden, auch mehrere Fachgebiete
wissenschaftlich und praktisch zu beherrschen. Wieso dann Gefahren in
der Offenlegung der Mehrfachqualifikation liegen sollen, ist nicht
ersichtlich.
Die Befürworter des Verbots der Doppelbezeichnung bringen weiter die
Vermutung vor, der Facharzt für Allgemeinmedizin könne in diesem
Bereich dem Fortbildungsgebot (Beibehaltung des Kenntnisstandes) nicht
hinreichend genügen, wenn er sich daneben zusätzlich dauerhaft in einem
weiteren Gebiet fortbilden müsse. Dieses Argument richtet sich jedoch
eher gegen die Mehrfachqualifikation als gegen das Führen der
Bezeichnung. Außerdem fehlen hierfür auch in der Sache nachvollziehbare
Gründe. Zunächst überzeugt die Annahme besonderer Schwierigkeiten bei
der Fortbildung nicht, wenn man deren Anforderungen mit denen der
Weiterbildung vergleicht. Im Übrigen verbieten die berufsrechtlichen
Regelungen auch nicht, dass sich ein Facharzt für Allgemeinmedizin, der
zugleich Kinderarzt ist, als Kinderarzt niederlässt und die
Facharztbezeichnung Allgemeinmedizin aufgibt. Daran wird deutlich, dass
es dem angegriffenen Doppelbezeichnungsverbot in erster Linie um den
mit der Ankündigung verbundenen Werbeeffekt, nicht aber um ein
Tätigkeitsverbot mit Schutzfunktion für die Bevölkerung geht.
Schließlich führen zutreffende Angaben über besondere Kenntnisse und
Fähigkeiten nicht zu Gefährdungen des Gemeinwohlbelangs einer
qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung.
Derartige Hinweise befriedigen vielmehr das berechtigte
Informationsbedürfnis der Patienten.
Im Jahre 1972 rechnete das Bundesverfassungsgericht zu den
Gemeinwohlbelangen, die eine Trennung der Tätigkeitsbereiche von den
Allgemeinärzten und Fachärzten erlaubten, noch die unerlässliche
Zusammenarbeit zwischen den beiden Gruppen. Mittlerweile haben sich die
tatsächlicher Gegebenheiten jedoch so geändert, dass diesem Aspekt kein
Gewicht mehr zukommt. Vor dreißig Jahren war das Ziel der
Zusammenarbeit durch eine Trennung der Tätigkeitsfelder noch
erreichbar. Damals führten mehr als die Hälfte der Ärzte keine
Gebietsbezeichnung, die Fachärzte waren auf eine Überweisung durch
die praktischen Ärzte angewiesen. Im Gegensatz dazu werden die
Patienten heute fast nur noch durch Fachärzte behandelt. Diese
Situation gilt auch für die Allgemeinmediziner, die größte unter den
vierzig Facharztgruppen. Auch das ärztliche Selbstverständnis hat sich
geändert. Dies bekräftigt die vertragsärztliche Zulassung, die als
entscheidende wirtschaftliche Basis eines niedergelassenen Arztes
regelmäßig die Weiterbildung zum Facharzt voraussetzt.
Schließlich lässt sich die nur den Allgemeinarzt treffende Beschränkung
auf ein Gebiet nicht durch dessen hausärztliche Ausrichtung
rechtfertigen. Denn auch Internisten und Kinderärzte sind überwiegend
hausärztlich tätig. Auch die Typologie der Gebietsbezeichnungen lässt
keine Unterscheidung zwischen Fachärzten im engeren und weiteren Sinn
zu. Vielmehr überschneiden sich die Gebietsabgrenzungen vielfältig. Die
vollständige Beschränkung des Allgemeinarztes auf sein Gebiet ist
weiter nicht mit den Erfordernissen der Zusammenarbeit unter den
Arztgruppen begründbar. Jede Gruppe trägt nämlich Verantwortung dafür,
dass rechtzeitig Spezialisten hinzugezogen werden, wenn das
Krankheitsbild dies erfordert. Die Beschränkung auf das eigene
Fachgebiet ist vielmehr auf Ergänzung und damit auf die notwendige
Zusammenarbeit der Fachgruppen angelegt. Insofern gilt für den
Allgemeinmediziner nichts anderes als für andere Fachärzte. Die
Beschränkung auf die Gebietsbezeichnung Allgemeinmedizin findet im
heutigen Berufsrecht keine Basis mehr. Sie ist ein Relikt aus der Zeit,
in der es eine Arbeitsteilung zwischen praktischen Ärzten und
Fachärzten gab.
BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 2002 - Az. 1 BvR 525/99 -
Zu den Vorschriften:
§ 39 Abs. 3 des baden-württembergischen Kammergesetzes i. d. F. v.
16. März 1995
Erweiterung der Berufsbezeichnung
(1) und (2)........
(3) Die Gebietsbezeichnung "Allgemeinmedizin" darf nicht neben
einer anderen Gebietsbezeichnung geführt werden; das gilt für die
Führung der Bezeichnung "Praktischer Arzt" entsprechend.