VERFASSUNGSRECHT
Abgeordnetenrechte bei EU-Militäroperation Sophia verletzt
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Karlsruhe (jur). Die Bundesregierung durfte das Parlament nicht über die von EU-Staaten gegen Schlepper im Mittelmeer durchgeführte Militäroperation „Sophia“ im Unklaren lassen. Denn die Regierung ist von verfassungs wegen dazu verpflichtet, den Bundestag „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ über die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU zu unterrichten, urteilte am Mittwoch, 26. Oktober 2022, das Bundesverfassungsgericht (Az.: 2 BvE 3/15 und 2 BvE 7/15). Auch ein Schreiben des früheren türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei ohne ausreichende Begründung den Abgeordneten vorenthalten worden, so die Karlsruher Verfassungsrichter.
Vor Gericht waren die Bundestags-Fraktionen von „Bündnis90/Die Grünen“ und „Die Linke“ gezogen. Die Grünen hatten von der Bundesregierung Informationen über die EU-Militäroperation „Sophia“ zur Bekämpfung von Schleppern im Mittelmeer verlangt. Spätestens Ende April 2015 wusste die Bundesregierung über das geplante genaue Vorgehen gegen die Schlepper im Mittelmeer Bescheid. Der EU-Rat hatte die inzwischen ausgelaufene Operation, an der auch die Deutsche Marine teilnahm, am 18. Mai 2015 beschlossen.
Erst danach konnten Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses, des Verteidigungsausschusses und des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union in der Geheimschutzstelle des Bundestags Einsicht in das Konzept der Operation „Sophia“ nehmen.
Im zweiten Fall hatte „Die Linke“ erfolglos ein an Bundeskanzlerin Merkel gerichtetes Schreiben des früheren türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu angefordert. Nach einem Zeitungsbericht hatte Davutoglu das Schreiben an 28 EU-Staats- und Regierungschefs versandt, in dem er sich zu Fragen der Migration, der Außen- und Sicherheitspolitik und auch zur Zusammenarbeit mit der Europäischen Union geäußert haben soll.
Das Bundeskanzleramt lehnte die Übermittlung des Schreibens an die Abgeordneten ab. Die Korrespondenz der Bundeskanzlerin mit anderen Regierungschefs sei generell nicht Gegenstand der Unterrichtung des Bundestages.
Das Bundesverfassungsgericht urteilte in beiden Verfahren, dass die Bundesregierung die Beteiligungsrechte des Bundestags verletzt hat. Das Grundgesetz sehe vor, dass in Angelegenheiten der Europäischen Union Bundestag und der Bundesrat mitwirken sollen. Die Bundesregierung müsse Bundestag und Bundesrat „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ über Maßnahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik unterrichten.
Die Informationen müssten allen Abgeordneten zugänglich gemacht werden. Ausnahmen seien etwa aus Gründen des „Staatswohls“ möglich, die hier aber nicht geltend gemacht worden seien. Danach habe die Bundesregierung den Bundestag nicht frühzeitig und ausreichend über die EU-Militäroperation „Sophia“ informiert.
Auch habe die Bundesregierung im zweiten Fall nicht ausreichend begründet, warum das Schreiben des türkischen früheren Ministerpräsidenten Davutoglu an Angela Merkel unter Verschluss bleiben muss. Medienberichten zufolge habe Davutoglu sein Schreiben an 28 EU-Staats- und Regierungschefs gerichtet und sich darin zur Migrationspolitik und zur Zusammenarbeit mit der EU geäußert. Damit könne aber eine Unterrichtung der Abgeordneten infrage kommen, so das Bundesverfassungsgericht.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock