SOZIALRECHT
Bundesfreiwilligendienst schützt nicht vor Zwangsverrentung
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Hartz IV © Symbolgrafik:© PeJo - stock.adobe.com
Kassel (jur). Hartz-IV-Bezieher können auch während eines Bundesfreiwilligendienstes vom Jobcenter mit Abschlägen vorzeitig in Rente geschickt werden. Dies gilt zumindest dann, wenn das vom Bundesfreiwilligendienst gewährte Taschengeld unter der Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro liegt und der Arbeitslosengeld-II-Bezieher nicht in nächster Zukunft abschlagsfrei in Altersrente gehen kann, entschied das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem am Freitag bekanntgegebenen Urteil vom Vortag (Az.: B 4 AS 60/21 R)
Im Streitfall ging es um eine Hartz-IV-Bezieherin aus Barnim in Brandenburg, die ab März 2016 einen einjährigen Bundesfreiwilligendienst in einer Bibliothek absolvierte. Für ihre Arbeit erhielt sie ein monatliches Taschengeld von 200 Euro. Außerdem wurden für sie 81,22 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen gezahlt.
Da die damals 63-jährige Frau als langjährige Versicherte galt, forderte das Jobcenter sie auf, vorzeitig und mit Abschlägen in Rente zu gehen. Arbeitslosengeld II werde nur „nachrangig“ gewährt. Bestehe die Möglichkeit eines Rentenbezugs, sei dies regelmäßig vorzuziehen.
Die Frau lehnte ab. Sie gehe mit dem Bundesfreiwilligendienst eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nach. Das monatliche Taschengeld erhöhe zudem ihren späteren Rentenanspruch.
Daraufhin stellte das Jobcenter für die Frau selbst einen Rentenantrag und meldete einen Erstattungsanspruch für geleistetes Arbeitslosengeld II an.
Wie nun das BSG entschied, durfte das Jobcenter die Frau als langjährig Versicherte zur vorzeitigen Altersrente zwingen. Auch wenn dies mit Abschlägen verbunden war, sei dies rechtmäßig und auch nicht „unbillig“. Nach der Unbilligkeitsverordnung sei es nur unter bestimmten Voraussetzungen verboten, einen Hilfebedürftigen zur Beantragung einer vorgezogenen Altersrente aufzufordern. So dürfe damit nicht der Verlust eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld I verbunden sein. Auch dürfe eine abschlagsfreie Altersrente nicht in naher Zukunft bevorstehen. Zudem dürfe der Betroffene keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nachgehen oder aus sonstiger Erwerbstätigkeit „ein entsprechend hohes Einkommen erzielen“.
Der Klägerin stand 2016 weder ein Arbeitslosengeld-I-Anspruch zu noch hätte sie in nächster Zukunft eine abschlagsfreie Altersrente erhalten, so das BSG. Der Bundesfreiwilligendienst sei auch keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gewesen. Freiwillige würden den Dienst vielmehr „ohne Erwerbsabsicht“ ausüben. Die Tätigkeit ähnele eher einem Ehrenamt. Zwar seien Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden. Dies sei aber „ohne Bedeutung“, befand das BSG. Denn der Verdienst habe unter der Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro monatlich gelegen.
Bei dem ab 2023 geplanten Bürgergeld ist nicht mehr vorgesehen, dass Hilfebedürftige vorzeitig in Rente geschickt werden können.
Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage
Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock