VERWALTUNGSRECHT
BVerfG zur IHK-Zwangsmitgliedschaft (Art. 9 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs 1 GG)
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Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat an
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit der
Pflichtmitgliedschaft in Industrie-und Handelskammern festgehalten.
In einem Beschluss vom 7. Dezember 2001 bekräftigt die 2. Kammer, dass
die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG nicht vor einer
gesetzlich angeordneten Eingliederung in eine öffentlich-rechtliche
Körperschaft schützt. Prüfungsmaßstab für den Schutz gegen die
Inanspruchnahme als Mitglied einer Zwangskorporation ist vielmehr Art.
2 Abs. 1 GG. Diese Vorschrift stellt ein hinreichendes Instrument zur
Abwehr unnötiger Pflichtverbände dar und erlaubt dem Prinzip der freien
sozialen Gruppenbildung gerecht zu werden.
Voraussetzung für die Errichtung eines öffentlich-rechtlichen Verbandes
mit Pflichtmitgliedschaft ist, dass der Verband legitime öffentliche
Aufgaben erfüllt. Bei der Einschätzung, ob diese Voraussetzungen
vorliegen, kommt dem Gesetzgeber ein weites Ermessen zu. Die Änderung
der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, zum
Beispiel die Änderung der Struktur von den in den Kammern
zusammengefassten Unternehmen und die Entwicklung des Verbandswesens,
verlangt vom Gesetzgeber allerdings die ständige Prüfung, ob die
Voraussetzungen für eine öffentlich-rechtliche Zwangskorporation noch
bestehen. Dies hat der Gesetzgeber bei der letzten Gesetzesreform im
Jahre 1998 überprüft und bejaht. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist
nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber nach wie vor von der
Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch die Kammern ausgeht. Der Staat
darf sich bei der öffentlichen Aufgabe der Wirtschaftsförderung der
Hilfe von aus der Wirtschaft selbst heraus gebildeten
Selbstverwaltungseinrichtungen bedienen.
Das Bundesverfassungsgericht hat als zwei unterscheidbare
Aufgabenkomplexe die "Vertretung der gewerblichen Wirtschaft" und die
"Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben auf wirtschaftlichem Gebiet"
benannt, und beide als legitime öffentliche Aufgaben eingeordnet. In
der Aufgabenstellung der Kammern sind diese beiden Komplexe nicht
getrennt, sondern in einer für Wirtschaftsverwaltung mit Hilfe von
Selbstverwaltungseinrichtungen spezifischen Weise verbunden.
Insbesondere handelt es sich nicht um eine reine Interessenvertretung
wie sie Fachverbände wahrnehmen, sondern um die Vertretung des
Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft mit der praktisch im
Vordergrund stehenden Aufgabe, die Staatsorgane zu beraten.
Da gerade diese Kombination die Annahme einer öffentlichen Aufgabe
rechtfertigt, kann es für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit nicht
darauf ankommen, ob einzelne dieser Aufgaben auch in anderer Form
wahrgenommen werden könnten.
Die Beeinträchtigung des einzelnen Gewerbetreibenden durch die
Pflichtmitgliedschaft ist auch deshalb hinnehmbar, weil die
Pflichtmitgliedschaft für die Kammerzugehörigen eine Chance zur
Beteiligung und Mitwirkung an staatlichen Entscheidungsprozessen
eröffnet, dabei aber auch die Möglichkeit offen lässt, sich nicht aktiv
zu betätigen. Die Pflichtmitgliedschaft hat überdies eine
freiheitssichernde und legitimatorische Funktion, weil sie auch dort,
wo das Allgemeininteresse einen gesetzlichen Zwang verlangt, die
unmittelbare Staatsverwaltung vermeidet und stattdessen auf die
Mitwirkung der Betroffenen setzt.
Etwaige Aufgabenüberschreitungen durch den Zwangsverband und seine
Organe kann das einzelne Mitglied im Klagewege abwehren.
BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2001 - Az. 1 BvR 1806/98 -