STAATSRECHT
DVU-Wahlkampfwerbung mit Kaisen's Foto durch Meinungsfreiheit gerechtfertigt
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Meinungsfreiheit politischer Parteien im Wahlkampf
und Schutz der Menschenwürde Verstorbener
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat eine
Verfassungsbeschwerde der Tochter von Wilhelm Kaisen, langjähriger
Bürgermeister Bremens, nicht zur Entscheidung angenommen.
Während des Bürgerschaftswahlkampfes 1991 hatte die
rechtsextreme DVU u. a. mit Kaisen's Foto geworben und behauptet,
der 1979 verstorbene Ex-Bürgermeister würde, falls er noch lebte,
DVU wählen. Als Untertext ist dem Foto ein aus dem Zusammenhang
gerissenes Zitat Kaisens beigegeben. Die Wahlkampfzeitung enthielt
ähnliche Foto/Text-Montagen von Kurt Schumacher, Friedrich Ebert
und Friedrich Engels.
Unterlassungsansprüche der Beschwerdeführerin blieben vor dem OLG
erfolglos; die Meinungsfreiheit der politischen Partei im Wahlkampf
lasse die umstrittene Äußerung zu.
Dies hat das Bundesverfassungsgericht nun bestätigt:
Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab beim Schutz des
Persönlichkeitsrechts Verstorbener ist das Gebot der Unverletzlichkeit
der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), denn Träger des Grundrechts auf
freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) ist nur die
lebende Person. Durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützt ist zum einen der
allgemeine Achtungsanspruch des Verstorbenen, der ihn insbesondere
davor bewahrt, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden. Schutz genießt
darüber hinaus der sittliche, personale und soziale Geltungsanspruch,
den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat. Ein
Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG ist jedoch erst anzunehmen, wenn die
Menschenwürde eines Verstorbenen durch die Kundgabe einer
Meinungsäußerung verletzt wird, die Berührung des Grundrechts reicht
nicht. Bei Angriffen auf den durch die Lebensleistung erworbenen
Geltungsanspruch genügt beispielsweise nicht bereits dessen
Infragestellung , wohl aber deren grobe Entstellung.
Das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Urteil trägt dem
ausreichend Rechnung. Das Oberlandesgericht hat der Meinungsfreiheit
politischer Parteien im Wahlkampf zu Recht unverzichtbare Bedeutung
zugemessen. Die Aufgabe der Parteien als Wahlvorbereitungsorganisationen
verträgt wegen ihrer Wichtigkeit für den politischen Meinungskampf
prinzipiell keine inhaltlichen Reglementierungen. Deshalb dürfen
Beschränkungen der Meinungsfreiheit politischer Parteien im Wahlkampf
grundsätzlich nicht auf einer inhaltlichen Bewertung der Äußerung
oder des Trägers der Äußerung aufbauen.
Auch im Wahlkampf findet die Meinungsfreiheit allerdings eine absolute
Grenze im Schutz der Menschenwürde der durch eine Meinungsäußerung
nachteilig betroffenen Personen. Die Menschenwürde Wilhelm Kaisens ist
durch die beanstandete Wahlkampfäußerung der DVU in Anbetracht der
konkreten Gestalt dieser Äußerung und ihres Kontextes nicht verletzt
worden. Für den unbefangenen und verständigen Adressaten der
Wahlkampfaussage liegt es auf der Hand, dass Wilhelm Kaisen nicht für
die politischen Ziele der DVU eingestanden wäre, sondern von dieser
lediglich verbal unter Ausnutzung seines Renommees vereinnahmt worden
ist. Die Lebensleistung Kaisens wird allein hierdurch weder in Frage
gestellt noch verfälscht. Sein öffentliches Ansehen könnte durch eine
solche Aussage nur unter besonderen Umständen in verfassungsrechtlich
erheblicher Weise beschädigt werden, etwa wenn sie Teil einer
nachhaltigen Kampagne der DVU wäre. Hierzu ist von der
Beschwerdeführerin aber nichts vorgetragen worden. Äußerungen der
fraglichen Art widersprechen zwar eindeutig den ungeschriebenen Regeln
des politischen Anstands und des guten Geschmacks. Dies gilt in
besonderer Weise, wenn sie sich auf bereits verstorbene Personen
beziehen, die sich politisch nicht mehr wehren können. Der
Menschenwürde von Wilhelm Kaisen können sie jedoch nichts anhaben.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 5. April 2001 - Az. 1 BvR 932/94 -