FAMILIENRECHT
Elternrecht kein Recht auf Kindesmisshandlung
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Karlsruhe (jur). Begründen erhebliche Verletzungen bei einem Kind den Verdacht der Kindesmisshandlung, müssen Jugendamt und Gerichte für einen Sorgerechtsentzug nicht die Ursachen vollends aufklären. „Je gewichtiger der zu erwartende Schaden für das Kind oder je weitreichender mit einer Beeinträchtigung des Kindeswohls zu rechnen ist, desto geringere Anforderungen müssen an den Grad der Wahrscheinlichkeit gestellt werden, mit der auf eine drohende oder erfolgte Verletzung geschlossen werden kann“, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Freitag, 11. November 2022, veröffentlichten Beschluss (Az.: 1 BvR 1807/20).
Konkret ging es um ein am 29. August 2017 geborenes Kind. Im ersten Lebensmonat mussten die in Südhessen lebenden Eltern den Notarzt rufen. Bei dem Kind wurde ein Spiralbruch des Oberschenkels festgestellt, der operativ behandelt werden musst. Die behandelnden Ärzte vermuteten eine Kindesmisshandlung, zumal sich an dem Oberschenkel auch drei Hämatome befanden, die auf einen harten Zugriff hindeuteten.
Die in Südhessen lebenden Eltern konnten sich dies nicht erklären. Möglicherweise gehe der Bruch auf eine „Eigenbewegung“ des Kindes oder einem Sturz zurück, nachdem dieses aus den Armen gerutscht sei. Als dann im November 2017 bei einer Untersuchung des Kindes eine deutliche Kopfveränderung und Flüssigkeitsansammlungen im Gehirn diagnostiziert wurden, gingen Ärzte von einem Schütteltrauma aus.
Das Jugendamt rief daraufhin das Amtsgericht an, welches in weiten Teilen den Eltern das Sorgerecht entzog. Das Jugendamt nahm das Kind in Obhut.
Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main bestätigte die weitgehende Sorgerechtsentziehung.
Die Eltern sahen darin ihr im Grundgesetz verankertes Recht auf Erziehung und Pflege ihrer Kinder verletzt und legten gegen die Maßnahmen Verfassungsbeschwerde ein.
Doch diese hatte keinen Erfolg. „Je gewichtiger der zu erwartende Schaden für das Kind oder je weitreichender mit einer Beeinträchtigung des Kindeswohls zu rechnen ist, desto geringere Anforderungen müssen an den Grad der Wahrscheinlichkeit gestellt werden, mit der auf eine drohende oder erfolgte Verletzung geschlossen werden kann“, so die Verfassungsrichter. Ein vollständiger Ausschluss anderer Ursachen – hier etwa die theoretische Möglichkeit einer Stoffwechselerkrankung – sei dann nicht erforderlich..
Hier hätten auch mehrere medizinische Gutachten den Verdacht einer Kindesmisshandlung erhärtet. Sei bereits ein Schaden bei einem Kind eingetreten oder lasse sich mit ziemlicher Sicherheit eine erhebliche Gefährdung voraussagen, dürften weite Teile des Sorgerechts entzogen werden, so die Karlsruher Richter.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock