ARBEITSRECHT
Entwarnung bei Überstunden-Vergütungen – oder doch nicht?
Autor: ROSE & PARTNER - Rechtsanwälte Steuerberater - Kanzlei
zuletzt bearbeitet am:
- Überstunden - ständiges Konfliktpotenzial im Arbeitsrecht
- CCOO-Urteil des EuGH: System zur Arbeitszeiterfassung verpflichtend
- Bundearbeitsgericht bestätigt bisherige Rechtsprechung
- 348 Überstunden - Wie viel davon ist Pausenzeit gewesen?
- BAG: Arbeitnehmer muss Überstunden & Veranlassung durch Chef beweisen
- Keine bezahlten Überstunden, wenn diese nicht veranlasst wurden
- Chef kann unerwünschte Überstunden bei Kenntnis unterbinden
- Vergütung von Überstunden nicht Zweck der EU-Arbeitszeitrichtlinie
- Aufzeichnungen und Kommunikation schützen vor unbezahlten Überstunden
Überstunden - ständiges Konfliktpotenzial im Arbeitsrecht
Die Leistung und die Vergütung von Überstunden sind ein Dauerbrenner im deutschen Arbeitsrecht und beschäftigen regelmäßig die Arbeitsgerichte. Immer wieder kommt dieses Thema dabei erst nach einer Kündigung oder im Zusammenhang mit einer anderweitigen Beendigung eines Arbeitsvertrags, z.B. bei der Verhandlung eines Aufhebungsvertrags, auf den Tisch.
CCOO-Urteil des EuGH: System zur Arbeitszeiterfassung verpflichtend
Für Aufsehen sorgte im Jahr 2019 das sog. CCOO-Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Der Europäische Gerichtshof hatte entschieden, dass Arbeitgeber grundsätzlich zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit verpflichtet sind. Die Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht waren dabei lange unklar. Insbesondere wurde die Frage gestellt, ob die Entscheidung Auswirkungen auf Fragen der Darlegungs- und Beweislast bei Streitigkeiten über Überstundenvergütungen haben würde.
Vielfach wurde hierzu die Meinung geäußert, dass eine Verpflichtung der Arbeitgeber zur effektiven Arbeitszeiterfassung zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast bezüglich geleisteter Überstunden bedeuten könnte.
Bundearbeitsgericht bestätigt bisherige Rechtsprechung
Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil vom 04.05.2022 (Az. 5 AZR 359/21) nun seine bisherige Rechtsprechung bestätigt.
In dem entschiedenen Fall klagte ein bei einem Einzelhandelsunternehmen beschäftigter Auslieferungsfahrer auf Vergütung für – nach seinem Vortrag – 348 geleistete Überstunden. Im Unternehmen der Arbeitgeberin gab es bereits eine technische Zeiterfassung, mit welcher die Mitarbeiter den täglichen Beginn und das Ende ihrer Arbeitszeit erfassten. Der Kläger als Auslieferungsfahrer konnte allerdings seine Pausenzeiten nicht registrieren.
348 Überstunden - Wie viel davon ist Pausenzeit gewesen?
Nach dem Vortrag des Klägers im Prozess sei es ihm aber auch gar nicht möglich gewesen, während seiner Touren Pausen zu machen, weil er ansonsten die Lieferaufträge nicht hätte abarbeiten können. Die Arbeitgeberin bestritt nicht Saldo von 340 Plusstunden, wohl aber, dass es sich dabei ausnahmslos um gearbeitete Überstunden gehandelt habe. Der Kläger habe vielmehr die Anweisung gehabt, täglich Pausen zu machen und dies auch getan.
Erstinstanzlich hatte der Kläger vor dem Arbeitsgericht mit seiner Vergütungsklage noch weitgehend Erfolg. Das Landesarbeitsgericht als Berufungsinstanz hat die Klageforderung von ursprünglich über EUR 5.000,00 auf lediglich EUR 1.165,14 brutto reduziert und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht hat die Berufungsentscheidung nun bestätigt.
BAG: Arbeitnehmer muss Überstunden & Veranlassung durch Chef beweisen
Tragendes Argument für das Bundesarbeitsgericht war dabei, dass der Kläger zwar den Umfang der von ihm geleisteten Überstunden dargelegt habe, nicht jedoch deren Veranlassung durch die Arbeitgeberin. Das Bundesarbeitsgericht hat dabei ausführlich seine – insoweit weiterhin gültige – Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast bei Überstunden dargestellt:
Verlangt ein Arbeitnehmer Vergütung für Überstunden, so hat er darzulegen und zu beweisen, dass er über die geschuldete Normalarbeitszeit hinaus zusätzliche Arbeit geleistet hat, also an welchen Tagen er von wann bis wann gearbeitet hat. Diese Hürde hatte der Kläger hier noch genommen, indem er auf den unstreitigen Plusstundensaldo von 348 Stunden verwiesen hatte. Im Weiteren hatte der Kläger pauschal behauptet, er habe zu gar keiner Zeit Pausen gemacht.
Keine bezahlten Überstunden, wenn diese nicht veranlasst wurden
Allerdings scheiterte die Klage dann daran, dass es dem Kläger nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nicht gelungen sei, die Veranlassung der Überstunden durch die Arbeitgeberin darzulegen. Soweit der Arbeitnehmer über die geschuldete Normalarbeitszeit hinaus arbeitet, sei der Arbeitgeber nämlich nur dann zu einer Vergütung dieser Stunden verpflichtet, wenn er die Leistung der Überstunden veranlasst.
Veranlasst bedeutet dabei, dass der Arbeitgeber die Überstunden angeordnet oder diese gebilligt hat oder dass diese ihm zumindest zuzurechnen sind. Das Bundesarbeitsgericht hat klar herausgestellt, dass der Arbeitgeber sich die Leistung und Vergütung von Überstunden nämlich nicht aufdrängen zu lassen braucht und ein Arbeitnehmer nicht durch überobligatorische Mehrarbeit einfach seinen Vergütungsanspruch selbst erhöhen kann.
Chef kann unerwünschte Überstunden bei Kenntnis unterbinden
Der Kläger hätte hier insoweit ergänzend vortragen müssen, wer ihm wann auf welche Weise wie viele Überstunden angeordnet haben soll. Ein solcher Vortrag war nicht erfolgt. Der Kläger hatte auch nichts dazu dargelegt, dass die ihm zugewiesene Arbeit nicht innerhalb der Normalarbeitszeit hätte geleistet werden können oder das Zeitvorgaben des Arbeitgebers nur durch die Leistung von Überstunden hätten eingehalten werden können.
Ebenso gab es keinen Vortrag des Klägers dazu, dass die beklagte Arbeitgeberin tatsächlich von den geleisteten Überstunden Kenntnis erlangt hätte und es im Anschluss daran zu weiteren Überstundenleistungen gekommen wäre. Erlangt der Arbeitgeber nämlich Kenntnis von nicht angeordneten und nicht gewünschten Überstunden, so muss er die Leistung weiterer Überstunden durch geeignete Maßnahmen unterbinden, um nicht unter Umständen Vergütungsansprüchen ausgesetzt zu sein.
Vergütung von Überstunden nicht Zweck der EU-Arbeitszeitrichtlinie
Wichtig in Bezug auf das Problem einer möglichen Umkehr der Darlegungs- und Beweislast (genauso hatte der Kläger nämlich argumentiert) ist dabei, dass das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich festgestellt hat, dass die CCOO-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu keiner anderen Beurteilung führt.
Die Verpflichtung der Arbeitgeber zur Einrichtung eines Zeiterfassungssystems gingen nämlich auf die EU-Arbeitszeitrichtlinie zurück. Hintergrund der Arbeitszeitrichtlinie seien aber in erster Linie Aspekte der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes durch eine Begrenzung der Höchstarbeitszeiten. Zweck der Arbeitszeitrichtlinie sei es nicht, die Vergütung jeglicher geleisteter Arbeit sicherzustellen. Von daher habe das CCOO-Urteil laut Bundesarbeitsgericht keine Auswirkungen auf die bestehende Rechtsprechung zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast.
Aufzeichnungen und Kommunikation schützen vor unbezahlten Überstunden
Für Arbeitgeber, die bereits ein „Comeback der Stechuhr“ fürchteten, zeichnet sich insoweit eine gewisse Entspannung ab. Im September 2022 hat der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts in einer viel beachteten Entscheidung festgestellt, dass zwar auch in Deutschland eine gesetzliche Verpflichtung für Arbeitgeber zur Erfassung der Arbeitszeiten bestehe. Diese Verpflichtung wurde allerdings ebenfalls aus dem Arbeitsschutzgesetz abgeleitet. Ob sich der für Entgeltansprüche zuständige 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts angesichts des hier besprochenen Urteils nun doch noch anders entscheidet, erscheint insoweit zumindest fraglich.
Arbeitnehmern, die feststellen, dass sie unbezahlte Überstunden leisten müssen, ist insoweit in jedem Fall zu empfehlen, sich rechtzeitig Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitszeiten zu machen und den Arbeitgeber auch rechtzeitig damit zu konfrontieren, dass Überstunden geleistet werden und dass dafür eine Vergütung erwartet wird. Bis zum Ende, d.h. bis zur Kündigung, sollte man damit nicht warten. Ansonsten stellt sich regelmäßig das Problem, dass vielleicht noch die Arbeitszeiten rekonstruiert werden können – spätestens bei der Darlegung der konkreten Anordnung von Überstunden könnte es dann aber wie im aktuellen Fall schwierig werden.
Benötigen Sie rechtliche Beratung im Zusammenhang mit Überstunden, stehen Ihnen die Anwälte von ROSE & PARTNER, insbesondere unsere Fachanwälte für Arbeitsrecht, grundsätzlich gerne zur Verfügung. Weitere Informationen dazu finden Sie auf unserer Webseite: https://www.rosepartner.de/ueberstunden-ausbezahlen-abbauen-abgegolten-arbeitsrecht-arbeitsvertrag.html