EUROPARECHT
EU-Richter bekräftigen Vorrang auch vor nationalem Verfassungsrecht
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Luxemburg (jur). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg ist für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union das oberste Gericht - zumindest wenn EU-Recht im Spiel ist. Seine Auffassung bricht auch das nationale Verfassungsrecht und die Rechtsprechung der Verfassungsgerichte, wie der EuGH am Dienstag, 15. Januar 2013, bekräftigt hat (Az.: C-416/10). In einem Streit um eine Mülldeponie in der Slowakei stärkten die Luxemburger Richter gleichzeitig die Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit bei der Genehmigung umweltsensibler Anlagen.
Mit seinem Urteil verhalf der EuGH dem Obersten Gerichtshof der Slowakischen Republik zu einem Sieg über das eigene Verfassungsgericht. Der Gerichtshof hatte 2009 die Genehmigung für eine Mülldeponie in einer Tongrube im Kreis Bratislava ausgesetzt. Obwohl Anwohner Einsicht in die Akten gefordert hatten, hatte die slowakische Umweltinspektion die Anlage ohne jede Beteiligung der Öffentlichkeit gebilligt. Nach Überzeugung des Gerichtshofs hatte die Umweltbehörde damit bindende Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit ignoriert und zudem die Umweltverträglichkeit der Deponie nicht genügend geprüft.
2010 hob der Verfassungsgerichtshof der Slowakischen Republik dieses Urteil wieder auf: Der Oberste Gerichtshof habe seine Kompetenzen überschritten und die Eigentumsrechte der Deponiebetreiber verletzt.
Daraufhin rief der Oberste Gerichtshof den EuGH an und bekam aus Luxemburg klare Unterstützung. Inhaltlich bekräftigten die obersten EU-Richter die Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit bei Planung und Bau von Anlagen, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben. Diese Beteiligungsrechte gehen auf das Internationale Übereinkommen von Aarhus von 1998 zurück, dem die EU 2005 beigetreten ist.
Danach habe die Öffentlichkeit von Beginn an Anspruch auf Einsicht in alle relevanten Unterlagen des Genehmigungsverfahrens, urteilte der EuGH. Wird dies zunächst versäumt, könne es nur nachgeholt werden, solange die Entscheidung noch offen und eine sinnvolle Beteiligung der Öffentlichkeit noch möglich ist. Eine wegen fehlender Beteiligung rechtswidrige Genehmigung dürfe auch nicht mit dem Hinweis auf die Eigentumsrechte des Betreibers aufrechterhalten werden.
Weiter betonte der EuGH, dass diese Auffassung für die slowakischen Gerichte bindend ist. Daher müsse sich der Oberste Gerichtshof entgegen der slowakischen Rechtsordnung im Zweifel auch über den Verfassungsgerichtshof hinwegsetzen. Es könne nicht zugelassen werden, „dass nationale Rechtsvorschriften, auch wenn sie Verfassungsrang haben, die einheitliche Geltung des Unionsrechts beeinträchtigen“, heißt es in dem Luxemburger Urteil.
Diese laut EuGH „gefestigte Rechtsprechung“ geht auf das Urteil „Internationale Handelsgesellschaft“ vom 17. Dezember 1970 zurück (Az.: 11/70). In einem Streit um Getreideausfuhren hatte hier das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main die Ansicht vertreten, der Vorrang des europäischen vor dem nationalen Recht werde gebrochen, wenn sich das europäische Recht als grundgesetzwidrig erweise. In seiner Antwort reklamierte der EuGH die Wahrung der Grundrechte für sich. Diese müssten „sich aber auch in die Struktur und die Ziele der Gemeinschaft einfügen“.
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