AUSLäNDERRECHT
EU-Staaten müssen Flüchtlingen keine humanitären Visa ausstellen
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Luxemburg (jur). Flüchtlinge haben nach EU-Recht keinen Anspruch auf ein humanitäres Visum, damit sie in einem EU-Mitgliedstaat Asyl beantragen können. Die jeweiligen Mitgliedstaaten könnten allein nach ihrem nationalem Recht entscheiden, ob sie einem Antrag auf ein humanitäres Visum für politisch Verfolgte und Andersdenkende stattgeben, urteilte am Dienstag, 7. März 2017, der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg (Az.: C-638/16 PPU). Ein solcher Visa-Anspruch würde zudem das bislang geschaffene allgemeine System zur Prüfung von Asylanträgen beeinträchtigen.
Geklagt hatte eine syrische Familie aus der belagerten Stadt Aleppo. Die Familie floh infolge des Bürgerkriegs in Syrien im Oktober 2016 nach Beirut in den Libanon. In der belgischen Botschaft beantragten sie ein auf 90 Tage befristetes humanitäres Visum. Sie erklärten, dass sie nach ihrer Einreise in Belgien Asyl beantragten wollten.
Syrische Familie hoffte auf belgisches Visum
Sie seien orthodoxe Christen und würden in Syrien aus religiösen Gründen verfolgt. Der Vater sei bereits von einer bewaffneten Gruppe entführt, geschlagen und gefoltert worden. Erst gegen Lösegeld sei er freigelassen worden. Da sie sich im Libanon nicht als Flüchtlinge registrieren lassen konnten, mussten sie wieder zurück nach Aleppo. Dort hofften sie auf ein belgisches Visum.
Die EU-Grundrechtecharta und die Europäische Menschenrechtskonvention würden die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, ein Asylrecht zu gewährleisten, so ihr Argument. Nach dem EU-Visakodex müsse daher ein Visum erteilt werden, wenn der jeweilige EU-Mitgliedstaat dies zur Einhaltung seiner internationalen Verpflichtungen für erforderlich hält. Asyl sei für sie die einzige Möglichkeit, weiterer Verfolgung zu entgehen.
Belgisches Ausländeramt lehnte die Visaerteilung ab
Das belgische Ausländeramt lehnte die Visaerteilung ab. Das beantragte Visum sei auf 90 Tage begrenzt. Die syrische Familie wolle jedoch in Belgien einen Asylantrag stellen und damit länger als drei Monate bleiben. Dies stehe im Widerspruch zum EU-Visakodex. EU-Mitgliedstaaten seien nicht verpflichtet, auch Personen die eine besonders katastrophale Situation erleben, ein humanitäres Visum auszustellen.
Große Kammer des EuGH folgt der Entscheidung des Ausländeramtes
Dem folgte nun die 15-köpfige Große Kammer des EuGH. EU-Recht regele nur kurzfristige Visa für die Durchreise oder einen Aufenthalt bis zu 90 Tagen. Solche Visa habe die Familie beantragt. Tatsächlich wolle die Familie aber mit der beabsichtigten Asylantragstellung länger bleiben. Der EU-Gesetzgeber habe aber keine Regelungen erlassen, unter welchen Voraussetzungen Nicht-EU-Bürger langfristige Visa aus humanitären Gründen erhalten können. Damit sei EU-Recht nicht anwendbar, so dass allein das nationale, hier belgische Recht gelte. Weil es an einer EU-Regelung fehle, könne sich die Familie auch nicht auf die EU-Grundrechtecharta stützen.
Könnten Asylsuchende die Erteilung von Visa nach EU-Recht beanspruchen, um dann im jeweiligen EU-Mitgliedstaat einen Asylantrag zu stellen, „würde dies die allgemeine Systematik des Systems beeinträchtigen, das die Union zur Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedsstaats geschaffen hat“, warnte der EuGH.
Pro Asyl wertete die Entscheidung als „trauriges Urteil“
Die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl wertete die Entscheidung als „trauriges Urteil“. Damit hätten Flüchtlinge weiterhin keine Möglichkeit, auf legale Weise nach Europa zu kommen, um dort einen Asylantrag stellen zu können. „Humanitäre Visa werden so gut wie gar nicht erteilt“, sagte Kopp. Asylsuchende hätten nur die Wahl, zwischen Lebensgefahr im Heimatland oder für die Flucht auf Schlepperdienste zurückzugreifen. Es fehle an EU-Regelungen, die verbindlich die legale Einreise von Flüchtlingen in die EU regelt. Ansonsten werde weiterhin eine Schlepperindustrie gefördert.
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