EU-RECHT
EuGH: EU-Staaten müssen Schadenersatzansprüche ermöglichen
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Schadensersatz für KfZ mit Abschaltsoftware © Sondem - stock.adobe.com
Luxemburg (jur). Statten Diesel-Pkw-Hersteller ihre Fahrzeuge mit einer unzulässigen Software zur Abschaltung der Abgasreinigung aus, muss der Autokäufer wegen der damit verbundenen Nichteinhaltung der Stickstoffoxid-Grenzwerte auch Schadenersatzansprüche durchsetzen können. Die EU-Mitgliedstaaten dürfen hierfür zwar die Modalitäten festlegen, wie der Käufer einen angemessenen Schadenersatz erhält; sie dürfen aber nicht die Durchsetzung der Ansprüche praktisch unmöglich machen oder „übermäßig erschweren“, urteilte am Dienstag, 21. März 2023, der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Streit zwischen der Mercedes-Benz-Group und einem Kunden (Az.: C-100/21). Auch ohne Betrugsabsicht des Herstellers könnten Schadenersatzansprüche bestehen.
Der Kläger hatte im März 2014 bei einem Autohändler einen gebrauchten Mercedes Benz Typ C 220 CDI zum Preis von knapp 30.000 Euro gekauft. Das Fahrzeug war mit dem Dieselmotor OM 651 der Schadstoffklasse Euro 5 ausgestattet. Eine Software sorgte dafür, dass bei kühleren Außentemperaturen die Abgasrückführung verringert wird. In solch einem Fall führt dieses sogenannte Thermofenster zu einem höheren Ausstoß von Stickstoffoxid.
Der Autokäufer rügte, dass es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Er sei über den im realen Straßenbetrieb anfallenden Stickstoffoxidausstoß getäuscht worden. Der Kaufpreis sei wegen der fehlerhaften Abgasrückführung um bis zu 30 Prozent überhöht gewesen.
Die Mercedes-Benz-Group bestritt, dass es überhaupt zu einem Schaden gekommen sei. Dass das Thermofenster bei kühleren Temperaturen die Abgasreinigung verringert und schließlich ganz abschaltet, sei zum Schutz des Motors nötig. Eine sittenwidrige Täuschung habe nicht vorgelegen. Zudem verfüge das Fahrzeug über die vom Kraftfahrtbundesamt erteilte EG-Typgenehmigung.
Das Landgericht Ravensburg legte den Fall dem EuGH zur Prüfung vor.
Zwischenzeitlich hatte der EuGH am 14. Juli 2022 geurteilt, dass Thermofenster, die die Abgasreinigung bei Diesel-Pkws während des überwiegenden Teils des Jahres verringern, eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen (Az.: C-134/20). Regressansprüche gegen den Händler seien damit nicht ausgeschlossen.
EU-Recht verlange die Einhaltung der Grenzwerte, betonten damals die Luxemburger Richter. Selbst wenn ein Thermofenster als notwendig gelte, sei es dennoch unzulässig, wenn die Grenzwerte im überwiegenden Teil des Jahres damit nicht eingehalten werden. Es sei auch „vertragswidrig“, wenn ein Auto mit einer verbotenen Abschalteinrichtung „nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann“. Das gelte auch dann, wenn wie hier das Fahrzeug über eine gültige EG-Typgenehmigung verfügt. So der EuGH bereits im Juli 2022.
Im aktuellen Rechtsstreit stellte der EuGH nun klar, dass Käufer eines Diesel-Pkws mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung, wie dies ein Thermofenster sein kann, Anspruch auf Schadenersatz haben kann. Eine Betrugsabsicht des Herstellers sei hierfür nicht erforderlich. Ob die im Auto verwendete Software als Abschalteinrichtung zur Nicht-Einhaltung der EU-Grenzwerte führt und damit unzulässig ist, müsse das Landgericht noch feststellen.
Ein Autokäufer müsse sich aber darauf verlassen können, dass die maßgeblichen EU-Grenzwerte eingehalten werden. Hierfür müsse der Autohersteller dem Käufer eine „Übereinstimmungsbescheinigung“ aushändigen, die bestätigt, dass dieser sich an die EU-Regeln gehalten hat. Auch die Erteilung einer EG-Typgenehmigung sei nur erlaubt, wenn das Fahrzeug insbesondere die im EU-Recht festgelegten EU-Emissionsgrenzwerte einhält.
Die entsprechende EU-Verordnung schütze dabei auch „die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, urteilte der EuGH. „Die Mitgliedstaaten müssen daher vorsehen, dass der Käufer eines solchen Fahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadenersatz hat.“
Die einzelnen Mitgliedstaaten könnten aber die Modalitäten festlegen, wie der Schadenersatz erlangt werden kann. Allerdings dürften die nationalen Vorschriften dies „nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren“.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock