DATENSCHUTZRECHT
Flächendeckende pauschale Vorratsdatenspeicherung EU-rechtswidrig
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Luxemburg (jur). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat der pauschalen und flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung einzelner EU-Mitgliedstaaten erneut eine Absage erteilt. Wie die Große Kammer des höchsten EU-Gerichts am Dienstag, 5. April 2022, in Luxemburg urteilte, ist eine „allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung“ zur Bekämpfung schwerer Kriminalität mit EU-Recht nicht vereinbar (Az.: C-140/20). Zulässig sei zur Kriminalitätsbekämpfung aber die gezielte Speicherung und Verarbeitung von Verkehrs- und Standortdaten einzelner Personen oder auch eine allgemeine präventive Datenspeicherung an Kriminalitätsschwerpunkten oder „strategischen Orten“ wie Flughäfen oder Bahnhöfen.
Geklagt hatte ein Straftäter, den irische Instanzgerichte wegen Mordes an einer Frau zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt hatten. Die Ermittlungsbehörden kamen dem Mann unter anderem nach Auswertung gespeicherter Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit Telefonanrufen auf die Spur.
Der Verurteilte rügte, dass die irischen Vorschriften, die eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung schwerer Kriminalität erlauben, EU-rechtswidrig seien und daher nicht als Beweismittel verwendet werden dürfen. Der Oberste Gerichtshof in Irland legte den Fall dem EuGH zur Prüfung vor.
Der EuGH bekräftigte seine bisherige Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung und urteilte, dass „präventiv eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten“ zur Bekämpfung schwerer Straftaten nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Es liege ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens und des Schutzes personenbezogener Daten vor.
Zulässig könne aber eine gezielte Vorratsdatenspeicherung sein, etwa bei bestimmten Personengruppen oder an bestimmten Standorten. Sei etwa die Kriminalität an „strategischen Orten“ wie Flughäfen oder Bahnhöfen erhöht, könne dort eine Vorratsdatenspeicherung erlaubt sein. Auch bei eingeleiteten Ermittlungen gegen konkrete Personen sei die Verkehrs- und Standortdatenspeicherung zulässig. EU-Recht erlaube zudem die allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Bestandsdaten der Telekommunikationsnutzer, wie Name und der dazugehörige Telefonanschluss. Allerdings dürften Telekommunikationsanbieter nicht verpflichtet werden, pauschal alles zu speichern.
Zudem müsse die Kontrolle über die Erfassung und Nutzung der Daten bei den Gerichten oder einer anderen unabhängigen Stelle liegen, forderte der EuGH. Ein Polizeibeamter sei dagegen „kein Gericht und bietet nicht alle Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, die erforderlich sind, um als unabhängige Verwaltungsstelle eingestuft zu werden“.
Eine EU-rechtswidrige Vorratsdatenspeicherung bedeute aber nicht, dass die dabei gewonnenen Daten nicht als Beweismittel in einem Strafverfahren verwendet werden können. Die EU-Mitgliedstaaten könnten dies in nationalen Regelungen so vorsehen.
Bereits am 2. März 2021, hatte der EuGH in einem estländischen Fall geurteilt, dass ein Zugriff der Ermittler auf persönliche Telekommunikationsdaten nur bei schwerer Kriminalität zulässig sei (Az.: C-746/18; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag). Eine Vorratsdatenspeicherung zur Prävention von Kleinkriminalität sei unverhältnismäßig und mit der EU-Grundrechtecharta nicht vereinbar.
2014 und 2016 stellte der EuGH zudem fest, dass eine anlasslose und allgemeine Speicherung von Telekommunikationsdaten bei den Bürgern das Gefühl erzeuge, dass ihr Privatleben Gegenstand einer ständigen Überwachung ist (Urteil und JurAgentur-Meldung vom 8. April 2014, Az.: C-293/12 und C-594/12; Urteil und JurAgentur-Meldung vom 21. Dezember 2016, Az.: C-203/15 und C-698/15).
Nur bei einer Bedrohung der nationalen Sicherheit – etwa bei terroristischen Bedrohungslagen – sei eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung zulässig, urteilten die Luxemburger Richter am 6. Oktober 2020 (Az.: C-623/17, C-511/18 und C-520/18; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag).
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock