APOTHEKENRECHT
Freies Apothekenwahlrecht für Versicherte
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Marburg (jur). Die gesetzlichen Krankenkassen können Versicherte nicht verpflichten, bestimmte Medikamente nur in bestimmten Apotheken abzuholen. Entsprechende „Exklusivverträge“ der AOK Hessen für Krebsmedikamente entfalten keine „Exklusivwirkung“, wie das Sozialgericht (SG) Marburg in einem am Montag, 29. September 2014, bekanntgegebenen Urteil entschied (Az.: S 6 KR 84/14). Das Wahlrecht der Patienten gehe vor.
Die AOK hatte für 23 Gebiete in Hessen die Versorgung mit Zytostatika europaweit ausgeschrieben. Zytostatika sind Medikamente, die das Zellwachstum und die Zellteilung hemmen; sie werden in individueller Zusammensetzung insbesondere zur Chemotherapie gegen Krebs eingesetzt. Von den über 20.000 Apotheken in Deutschland verfügen nur etwa 300 über die notwendige Ausstattung und Genehmigung, um Zytostatikazubereitungen individuell herzustellen.
Laut Ausschreibung sollten aber ausschließlich die Apotheken, die den Zuschlag bekommen haben, seit Dezember 2013 in der jeweiligen Region alle AOK-Versicherten mit Zytostatika versorgen. Die Kasse informierte auch die Ärzte über dieses System.
Doch zwei Onkologen einer Gemeinschaftspraxis in Marburg starteten eine Gegenoffensive und stellten weiterhin reguläre Verordnungen aus. Ihre Patienten informierten sie, dass sie ein Recht auf freie Apothekenwahl hätten. Im selben Haus wie die Praxis befindet sich auch eine Apotheke, die mit eigenen Mitarbeitern Zytostatikazubereitungen herstellt. An der Ausschreibung der AOK hatte sich diese Apotheke nicht beteiligt. Dennoch reichten die meisten Patienten der Gemeinschaftspraxis ihre Rezepte weiterhin dort ein.
Doch die AOK bezahlte dieser Apotheke die Zytostatikazubereitungen nicht mehr. Der Apotheker klagte Vergütungen in Millionenhöhe ein und bekam nun vor dem SG Marburg recht.
Die AOK hatte sich auf die gesetzliche Möglichkeit berufen, sogenannte Rahmenverträge für die Abgabe von Arzneimitteln abzuschließen. Üblich handelt es sich hierbei aber um sogenannte Rabattverträge mit Arznei-Herstellern für bestimmte Wirkstoffe. Die Apotheken sind dann verpflichtet, an die Versicherten das jeweilige Rabatt-Arzneimittel abzugeben.
Dies bewirke aber keine Monopolstellung einzelner Apotheken für bestimmte Arzneimittel, betonte nun das Sozialgericht. Einen teilweisen Ausschluss der Apotheken von bestimmten Leitungen lasse das Gesetz derzeit nicht zu. Ein Eingriff in die Wahlfreiheit der Versicherten sei ohne gesetzliche Grundlage aber ebenso unzulässig wie ein Eingriff in die Berufsfreiheit der Apotheker.
Die Patienten hätten gerade bei den Zytostatikazubereitungen „ein besonderes und schützenswertes Interesse an der eigenen Wahl ihrer Apotheke“, heißt es in dem auch bereits schriftlich veröffentlichten Urteil vom 10. September 2014. Ohne Zustimmung sei ein Wechsel der Apotheke auch aus Datenschutzgründen nicht zulässig.
Für die Apotheker sei gerade die individuelle Herstellung dieser Arzneimittel wirtschaftlich nur mit bestimmten Mindestmengen möglich. Die „Exklusivverträge“ der AOK Hessen würden voraussichtlich zu einer Monopolisierung der Anbieter führen. Es sei daher auch fraglich, ob der von der AOK kurzfristig erhoffte Spareffekt dauerhaft haltbar ist.
Gegen dieses Urteil hat das Sozialgericht die Sprungrevision direkt zum Bundessozialgericht in Kassel zugelassen.
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