EU-RECHT
Gericht muss vorläufige Beihilfeentscheidungen nicht immer umsetzen
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Karlsruhe (jur). Deutsche Gerichte müssen auch vorläufigen Beihilfeentscheidungen der EU-Kommission grundsätzlich Geltung verschaffen. Doch es gibt auch Ausnahmen, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Donnerstag, 9. Februar 2017, zum ehemaligen Flughafen Lübeck entschied (Az.: I ZR 91/15). Hier habe der Flughafen seinen Flugbetrieb inzwischen eingestellt und die Kommission zwischenzeitlich ihre Meinung offenbar geändert.
In dem Streit geht es um die Sonderkonditionen des irischen Billigfliegers Ryanair am früheren Flughafen Lübeck. Wettbewerber Air Berlin meint, die Sonderkonditionen seien wettbewerbswidrig und nach EU-Recht unzulässige Beihilfen gewesen.
Air Berlin reichte eine Beschwerde bei der EU-Kommission ein und klagte zudem in Deutschland gegen Ryanair auf Auskunft über die gewährten Vergünstigungen. Auf der Grundlage dieser Auskünfte wollte Air Berlin dann Schadenersatzklagen einreichen.
Die EU-Kommission leitete im Juli 2017 ein Prüfverfahren ein und stellte fest, dass es sich bei den Sonderkonditionen nach vorläufiger Einschätzung um unzulässige Beihilfen handelt. Auf Anfrage des Oberlandesgerichts (OLG) Schleswig betonte dann der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, dass die deutschen Gerichte auch aus einer vorläufigen Kommissionsentscheidung die Konsequenzen ziehen und gegebenenfalls die Rückzahlung der Beihilfe anordnen müssen (Az.: Beschluss vom 4. April 2014 - C-27/13).
Hierzu urteilte nun der BGH, dass die vorläufige Kommissionsentscheidung von den Gerichten zwar zu berücksichtigen, aber nicht absolut verbindlich ist. Denn auch die Interessen der beteiligten Parteien sowie gegebenenfalls besondere Umstände des Einzelfalles spielten eine Rolle.
Eine Ausnahme könne etwa gelten, wenn die EU-Kommission „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ nicht bei ihrer vorläufigen Einschätzung bleibt. Hier habe die Kommission ihre abschließende Entscheidung zwar noch nicht im Volltext veröffentlicht, wohl aber erst vor zwei Tagen, am 7. Februar 2017, eine Pressemitteilung, wonach es sich nicht um unzulässige Beihilfen gehandelt hat.
Zudem gehe es hier um die Jahre 2000 bis 2004. Noch 2012 habe die Kommission sich nicht in der Lage gesehen, einen Termin für die abschließende Entscheidung zu nennen. Zwischenzeitlich sei der Flugbetrieb in Lübeck eingestellt worden, und es sei fraglich, ob die vermeintlichen Beihilfen heute noch eine „wettbewerbsverzerrende Wirkung“ entfalten könnten.
Dennoch wies der BGH die Auskunftsklage noch nicht endgültig ab. Vielmehr soll das OLG Schleswig nochmals neu darüber entscheiden. Air Berlin wird dort die Möglichkeit haben, seine Klage vor dem Hintergrund der Maßgaben des BGH und auch der aktuellen Entwicklung in Brüssel neu zu begründen.
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