VERKEHRSRECHT
Geschwindigkeitsmessungen auch ohne Rohmessdaten verwertbar
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Koblenz (jur). Geschwindigkeitsmessungen sind auch ohne die Speicherung der sogenannten Rohmessdaten verwertbar. Dies verstößt nicht gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren, wie der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in einem am Dienstag, 26. Juli 2022, veröffentlichten Urteil entschied (VGH B 30/21). Die Koblenzer Verfassungsrichter widersprachen damit ihren Kollegen in Saarbrücken.
Die seit Jahren umstrittenen modernen Geschwindigkeitsmessgeräte senden kontinuierlich Laserimpulse aus, die von den Fahrzeugen reflektiert und von den Sensoren des Geräts dann wieder erfasst werden. Aus diesen Daten werden Position und Geschwindigkeit des Fahrzeugs berechnet. Die sogenannten Rohmessdaten, auf denen die Rechnung beruht, werden danach sofort wieder gelöscht.
Verbreitete Geräte sind der TraffiStar S350 von Jenoptik und das mobile Messgerät PoliScan Speed M1 der Firma Vitronic.
Viele Temposünder legten gegen die Bußßgeldbescheide Klage ein.
Zahlreiche Temposünder hatten gegen ihre Bußgeldbescheide geklagt. Ihre Anwälte hatten gerügt, dass eine Überprüfung der Messung ohne die Rohmessdaten nicht möglich sei.
Das Bundesverfassungsgericht hatte hierzu entschieden, dass in Massenverfahren wie den Bußgeldsachen eine ausgiebige gerichtliche Beweiserhebung nicht möglich und auch nicht erforderlich ist. Im Gegenzug müssten aber die Anwälte der Betroffenen „außerhalb der Beweisaufnahme“ Zugang zu den die Geschwindigkeitsmessung betreffenden Unterlagen bekommen. Denn auch wenn Fehler selten seien, seien sie immer möglich. Die Anwälte müssten die Möglichkeit haben, solche Fehler aufzuzeigen und dann doch noch einen begründeten Beweisantrag zu stellen. (Beschluss vom 12. November 2020, Az.: 2 BvR 1616/18; JurAgentur-Meldung vom 15. Dezember 2020).
Ob Messungen ohne die Rohmessdaten verwertbar sind, hatte das Bundesverfassungsgericht offen gelassen. Bereits zuvor hatte der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes dies verneint (Urteil vom 5. Juli 2019, Az.: Lv 7/17; JurAgentur-Meldung vom 9. Juli 2019). Betroffene hätten keine Möglichkeit, die gemessene Geschwindigkeit zu überprüfen. Daher würden ihre Rechte auf ein faires Verfahren und eine wirksame Verteidigung unzulässig eingeschränkt.
Dem trat nun der Verfassungsgerichtshof Koblenz entgegen. In dem hier entschiedenen Fall hatte das Gerät PoliScan Speed M1 eine Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 70 Stundenkilometer errechnet. Das Amtsgericht Wittich und das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz setzten eine Geldbuße von 970 Euro fest und zogen den Führerschein für zwei Monate ein.
Die Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof Koblenz blieb ohne Erfolg. Das Recht auf Akteneinsicht beziehe sich nur auf „tatsächlich vorhandene Unterlagen“. Dazu gehörten die Rohmessdaten nicht. Diese seien für die Bußgeldstelle und dann eben auch für die Betroffenen und ihre Anwälte nicht mehr verfügbar.
Für ein faires Verfahren ist die Speicherung von Rohmessdaten nicht erforderlich.
Auch sei eine Speicherung der Rohmessdaten für ein faires Verfahren nicht zwingend erforderlich. Ob diese Daten eine nachträgliche Überprüfung ermöglichen würden, sei technisch-fachwissenschaftlich ohnehin umstritten. Denn ein Messfehler würde sich nicht nur auf die berechnete Geschwindigkeit, sondern zunächst auch auf die der Berechnung zugrundeliegenden Rohmessdaten auswirken.
Zudem werde das Fehlen dieser Daten durch ein umfassendes „Konformitätsprüfungsverfahren“ und eine Eichung der Geräte ausgeglichen. Dadurch werde „die Überprüfung des einzelnen Geschwindigkeitsmesswertes gleichsam auf das Messgerät selbst und sein Zulassungsverfahren vorverlagert“. Systemimmanente Fehler würden durch einen Toleranzabschlag ausgeglichen.
Andere relevante Unterlagen könne der Temposünder auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einsehen. Dazu gehörten etwa die Bedienungsanleitungen, Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen des Messgeräts, so der Verfassungsgerichtshof Koblenz in seinem Beschluss vom 22. Juli 2022.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock