STAATSRECHT
Grundrechtsbindung der Kirchen bei der Erhebung von Kirchensteuer
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Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde (Vb) der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen
Kirche und des Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreises Oldenburg
(Beschwerdeführer; Bf) nicht zur Entscheidung angenommen. Die Vb
betrifft die Frage der Grundrechtsbindung des kirchlichen Gesetzgebers
bei der Erhebung von Kirchensteuer.
1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die der Nordelbischen
Evangelisch-Lutherischen Kirche und dem im Land Schleswig-Holstein
gelegenen Kirchenkreis Oldenburg angehört, wurde mit Bescheid des
Finanzamts Oldenburg für das Jahr 1994 zur Kirchensteuer in Höhe von 9
v. H. der von ihr zu entrichtenden Lohnsteuer herangezogen. Sie strebte
die Herabsetzung der Kirchensteuer unter Zugrundelegung des in Hamburg
damals geltenden niedrigeren Steuersatzes von 8 v.H. an. Nach der
maßgeblichen Vorschrift des Kirchengesetzes der Evangelisch-
Lutherischen Kirche in seiner im Steuerjahr 1994 geltenden Fassung
erheben die Kirchenkreise die Kirchensteuer in Höhe eines
Vomhundertsatzes der Einkommen - (Lohn-) Steuer. Im Jahr 1994 betrug
sie im Bereich der Freien und Hansestadt Hamburg 8 v. H., im Bereich
des Landes Schleswig-Holstein hingegen 9 v. H. der Einkommen - (Lohn-)
Steuer. Seit 1. Januar 2001 gilt im gesamten Gebiet der Nordelbischen
Evangelisch-Lutherischen Kirche der Hebesatz von 9 v. H.. Die Klägerin
blieb mit ihrer Anfechtungsklage gegen den für das Jahr 1994 ergangenen
Kirchensteuerbescheid vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg, hingegen
gab das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (OVG) der Klage
auf ihre Berufung statt. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat die
gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde
zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die Bf mit ihrer Vb. Sie halten
die Entscheidung über die Höhe des Hebesatzes für eine innerkirchliche
Angelegenheit, die keiner Grundrechtsbindung unterliege. Außerdem hätte
das OVG das in Rede stehende kirchliche Gesetz dem
Bundesverfassungsgericht zur Prüfung auf seine Verfassungsmäßigkeit
vorlegen müssen.
2. Die Voraussetzungen für die Annahme der Vb liegen nicht vor. Die Vb
hat keine grundsätzliche Bedeutung und ist ohne Aussicht auf Erfolg.
Ein Verstoß der Fachgerichte gegen das Recht auf den gesetzlichen
Richter liegt nicht vor. Bei dem von der Synode als innerkirchlich
zuständigem Gesetzgebungsorgan erlassenen Kirchensteuerbeschluss
handelt es sich um autonomes Satzungsrecht einer Körperschaft des
öffentlichen Rechts. Es unterfällt daher nicht der Vorlagepflicht der
Gerichte an das Bundesverfassungsgericht.
Die angegriffenen Entscheidungen verletzten die Bf auch nicht in ihrem
durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Weimarer
Reichsverfassung (WRV; siehe Anlage) geschützten
Selbstbestimmungsrecht.
Nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WRV dürfen die
Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts
sind, von ihren Mitgliedern Steuern erheben. Der Staat ist
verpflichtet, den Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus das
Besteuerungsrecht als hoheitliche Befugnis zu verleihen. Daher sind
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die
Religionsgemeinschaften bei Inanspruchnahme des Hoheitsrechts an die
grundgesetzliche Ordnung, vor allem an die Grundrechte gebunden.
Rechtssetzung und Vollzug der Kirchensteuer unterliegen der
Rechtskontrolle durch staatliche Gerichte und müssen darüber hinaus
auch rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen. Wollen die Kirchen diese
Bindung vermeiden, müssen sie sich der Finanzierung durch private
Mitgliedsbeiträge bedienen.
Der Staat kommt seiner Verpflichtung aus der Verfassung nach, wenn er
die rechtlichen Voraussetzungen für das Besteuerungsrecht schafft und
dabei die Möglichkeit zwangsweiser Beitreibung vorsieht. In Schleswig-
Holstein und in Hamburg hat sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, die
Kirchensteuerarten zu regeln und die Ermächtigungsgrundlage für den
Erlass kirchlicher Steuergesetze zu schaffen, und er hat die Ausfüllung
dieses Rahmens den Religionsgemeinschaften überlassen. Angesichts
dessen obliegt es den Religionsgemeinschaften in eigener Verantwortung,
kirchliche Steuergesetze und Hebesatzbeschlüsse zu erlassen. Sie sind
dabei an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden. Kirchliche
Steuergesetze müssen daher die Mindestanforderungen rechtsstaatlicher
Steuererhebung erfüllen. Gestaltet eine Religionsgemeinschaft die
Kirchensteuer in Anbindung an die staatliche Einkommenssteuer aus, so
gilt für die Kirchensteuer das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot der
Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht das angegriffene
Urteil des Oberverwaltungsgerichts. Auch die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts ist von Verfassungs wegen nicht zu
beanstanden.
Zu Recht hat das OVG eine Bindung des kirchlichen Gesetzgebers an den
Gleichheitssatz bejaht. Sein dabei gewonnenes Auslegungsergebnis ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das OVG hat weder Bedeutung
und Tragweite des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WRV
noch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verkannt. Zutreffend ist es
davon ausgegangen, dass das unterschiedlich hohe Durchschnittseinkommen
der Kirchenglieder in den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein die
unterschiedliche Höhe der Hebesätze nicht zu rechtfertigen vermochte.
Aufgrund der Wahl dieses Merkmals als Anknüpfungspunkt wurde in dem
Erhebungsgebiet mit dem geringeren Durchschnittseinkommen ein höherer
Hebesatz vorgesehen. Dies verstößt jedoch gegen Art. 3 Abs. 1 GG, der
im Steuerrecht eine Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen gebietet. Dieser für den
staatlichen Steuergesetzgeber verbindliche Maßstab gilt auch für den
kirchlichen Steuergesetzgeber, wenn er - wie hier - die Kirchensteuer
in Anbindung an die Einkommenssteuer erhebt.
Die Kammer hat weiter ausgeführt, dass die bloße Zugehörigkeit von
Teilen des Kirchengebiets zu verschiedenen Ländern nach der Verfassung
kein hinreichender Differenzierungsgrund ist. Schließlich können die
unterschiedlichen Hebesätze auch nicht damit gerechtfertigt werden,
dass deren Angleichung einen Konsens mit der katholischen Kirche
erfordere. Eine diesbezügliche Übereinstimmung zwischen den Kirchen
ist zwar für die staatliche Verwaltung der Kirchensteuer, nicht aber
für die Beseitigung unterschiedlicher Hebesätze innerhalb der
Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche erforderlich.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. August 2002 - Az. 2 BvR 443/01 -
Anlage:
Art. 140 GG:
Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen
Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.
Art. 137 Weimarer Reichsverfassung (WRV):
(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre
Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle
geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates
oder der bürgerlichen Gemeinde.
(6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen
Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten
nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.