WETTBEWERBSRECHT
Grundsatzentscheidung zur Marktbeherrschendenstellung (Melitta)
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat durch Beschluß eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf aufgehoben, mit der der vom Bundeskartellamt untersagte Zusammenschluß der Melitta-Gruppe mit dem belgischen Staubbeutelhersteller Schultink freigegeben worden war.
Im Jahre 2000 hatten die Melitta-Gruppe, eine bedeutende deutsche Unternehmensgruppe für die Herstellung und den Vertrieb von Haushaltsprodukten wie Kaffeefilter, Haushaltsfolien und ‑tücher, Gefrier‑, Müll- und Staubsaugerbeuteln, aber auch von Kaffee und Kaffeemaschinen, sowie die belgische Schultink-Gruppe, die ausschließlich Staubsaugerbeutel herstellt und vertreibt, beim Bundeskartellamt die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens angemeldet, in dem die gesamten Staubsaugerbeutelaktivitäten der beiden Unternehmensgruppen (ohne Vertrieb) zusammengefaßt werden sollten und an dem die Melitta-Gruppe mit 80%, die Schultink-Gruppe mit 20% beteiligt sein sollte. Später wurde eine Tochtergesellschaft der Schultink-Gruppe, die ausschließlich den deutschen Gerätehersteller Vorwerk beliefert, aus dem Vorhaben herausgenommen. Die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens wird kartellrechtlich wie ein Zusammenschluß der Mütter behandelt und kann nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen untersagt werden, wenn dadurch auf dem relevanten Markt eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird.
Im Juni 2000 hat das Bundeskartellamt den Zusammenschluß untersagt. Dabei ist es davon ausgegangen, daß ein einheitlicher sachlicher Angebotsmarkt besteht, auf dem die Hersteller von Staubsaugerbeuteln ihre Produkte dem Handel sowie den Herstellern von Staubsaugern anbieten. Ferner hat das Bundeskartellamt angenommen, daß der ökonomisch bestimmte räumliche Markt sich in diesem Fall auf sämtliche Staaten Westeuropas erstrecke. Gleichwohl ist das Amt – einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1995 folgend (BGHZ 131, 107 – Backofenmarkt) – davon ausgegangen, daß aus Rechtsgründen der räumlich relevante Markt nicht größer sein könne als das Bundesgebiet. Das Bundeskartellamt hat festgestellt, daß die Melitta-Gruppe schon vor dem Zusammenschluß über eine marktbeherrschende Stellung verfügt hat (Marktanteil in Deutschland: 59,1%, in Westeuropa: 47,7%). Da die Schultink-Grup*pe in Deutschland nur wenig absetze, erhöhe sich der Marktanteil dort durch den Zusammenschluß nur um 0,4% auf 59,5%, während er in Westeuropa von 47,7% auf 56,8% steige. Dies hat das Bundeskartellamt ausreichen lassen, um eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung der Melitta-Gruppe anzunehmen.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat diese Untersagungsverfügung im April 2003 aufgehoben. Es hat darauf abgestellt, daß sich die Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung gerade auf dem Inlandsmarkt zeigen müsse. Dort führe der Zusammenschluß aber nicht zu einer nennenswerten Verstärkung.
Der Bundesgerichtshof hat diese Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Das Oberlandesgericht habe die Auswirkungen, die die erhebliche Verstärkung der Marktposition von Melitta auf dem westeuropäischen Markt auch auf das Marktgeschehen in Deutschland habe, nicht hinreichend berücksichtigt. Auch wenn man aus rechtlichen Gesichtspunkten annehme, daß der räumlich relevante Markt nicht größer als das Bundesgebiet sein könne, müsse das Geschehen auf dem ökonomischen Markt bei der Beurteilung der Marktstellung berücksichtigt werden.
Der Bundesgerichtshof hat im übrigen an der These aus der Backofenmarkt-Ent*scheidung, der räumlich relevante Markt sei stets auf das Bundesgebiet beschränkt, im Hinblick auf die veränderten Rahmenbedingungen nicht mehr festgehalten. Der Markt müsse grundsätzlich nach ökonomischen Gesichtspunkten abgegrenzt werden. Im Jahre 1995 bestand ein wesentliches Argument für die Beschränkung des räumlichen Marktes darin, das Bundeskartellamt könne die Marktverhältnisse im (europäischen) Ausland nur mit Schwierigkeiten aufklären. Inzwischen haben die Wettbewerbsbehörden in Europa ein Netzwerk aufgebaut und ihre Zusammenarbeit erheblich verbessert, so daß diese Frage in einem anderen Licht erscheint. Außerdem hat der Gesetzgeber durch eine – allerdings nicht eindeutige – Gesetzesänderung im Jahre 1999 zu erkennen gegeben, daß der räumliche relevante Markt allein nach ökonomischen Kriterien abgegrenzt werden solle.
Da das Oberlandesgericht noch keine eigenen Feststellungen zur Frage der Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung der Melitta-Gruppe auf dem westeuropäischen Markt für Staubsaugerbeutel getroffen hat, hat der Bundesgerichtshof die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 5. Oktober 2004 – KVR 14/03
Karlsruhe, den 5. Oktober 2004