VERKEHRSRECHT
Helmpflicht steht nicht automatisch unter Religionsfreiheit
Experten-Branchenbuch.de,
zuletzt bearbeitet am:
Mannheim (jur). Wegen ihres Turbans dürfen männliche Anhänger der Sikh-Religion nicht generell ohne Helm Motorrad fahren. Darüber können die Kommunen nach eigenem Ermessen entscheiden, wie der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg in einem am Montag, 4. September 2017, zugestellten Urteil betont (Az.: 10 S 30/16). Danach müssen die Kommunen dabei aber eine klare Linie fahren und das Grundrecht der Religionsfreiheit berücksichtigen.
Der Kläger lebt in Konstanz. Er ist Anhänger des Sikhismus, einer monotheistischen Religion, die im 15. Jahrhundert in Indien entstand. Nach den Glaubensregeln müssen getaufte männliche Sikhs (sogenannte Amritdhari) in der Öffentlichkeit ihr Haar mit einem speziellen Turban, einem Dastar, bedecken.
Fehlerhafte Ausübung des Ermessens
Weil er deswegen nicht gleichzeitig einen Motorradhelm tragen könne, beantragte er 2013 eine Befreiung von der Helmpflicht aus religiösen Gründen.
Die Stadt Konstanz hatte Ausnahmen bislang nur aus gesundheitlichen Gründen gemacht, wenn das Tragen eines Helms mit Genickschmerzen verbunden war. Dabei wollte die Stadt auch bleiben. Den Antrag des Sikhs lehnte sie daher ab.
Mit seinem jetzt zugestellten Urteil vom 29. August 2017 verpflichtete der VGH Mannheim die Stadt Konstanz, neu über den Antrag zu entscheiden. Kommunen müssten für jeden Einzelfall eine sogenannte Ermessensentscheidung treffen. Hier habe die Stadt Konstanz ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Denn wenn sie Ausnahmen aus gesundheitlichen Gründen erlaube, dürfe sie Ausnahmen aus religiösen Gründen nicht von vornherein ablehnen.
Ermessensspielraum der Stadt
Gleichzeitig betonten die Mannheimer Richter, dass der Stadt aber immer ein Ermessensspielraum verbleibe. Durch das Grundrecht der Religionsfreiheit werde dieser Spielraum „nicht auf Null reduziert“.
Denn der Religionsfreiheit stünden gleichrangige Ziele gegenüber. So schütze ein Motorradhelm nicht nur Leben und Gesundheit des Motorradfahrers selbst. Auch mögliche Schockfolgen des Unfallgegners würden damit vermindert. Zudem könne ein durch den Helm geschützter Motorradfahrer nach einem Unfall gegebenenfalls anderen Beteiligten besser helfen.
Keine Gleichbehandlung mit Antragstellern aus gesundheitlichen Gründen
Auf Gleichbehandlung mit Antragstellern aus gesundheitlichen Gründen könne sich der Sikh nicht mehr berufen. Denn die Stadt Konstanz habe inzwischen ihre Praxis geändert und erklärt, sie werde künftig „die Notwendigkeit des Motorradfahrens an sich hinterfragen“.
Im konkreten Fall hatte die Stadt aber noch gar nicht geschaut, inwieweit der Sikh auf sein Motorrad angewiesen ist. Nach dem Mannheimer Urteil muss sie dies nun noch nachholen. Wegen grundsätzlicher Bedeutung ließ der VGH aber für beide Seiten die Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu.
Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage