STAATSRECHT
Informationstätigkeit der BReg im religiös-weltanschaulichen Bereich (Sekten-Warnung)
Experten-Branchenbuch.de,
zuletzt bearbeitet am:
Mit Beschluss vom 26. Juni 2002 hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts die verfassungsrechtliche Zulässigkeit
öffentlicher staatlicher Informationen über religiöse und
weltanschauliche Vereinigungen grundsätzlich bejaht und die
verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für ein solches staatliches
Informationshandeln, insbesondere der Bundesregierung aufgezeigt.
Zugrunde liegt die Verfassungsbeschwerde (Vb) mehrerer
Meditationsvereine der sogenannten Osho-Bewegung (Bf.). Sie hatten im
verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahren im wesentlichen erfolglos
von der Bundesrepublik Deutschland die Unterlassung bestimmter
Äußerungen über diese Bewegung verlangt. Die Bundesregierung hatte in
den Jahren zwischen 1979 und 1984 in Äußerungen gegenüber dem Bundestag
und der Öffentlichkeit für die Bewegung die Bezeichnungen "Sekte",
"Jugendsekte", "Jugendreligion", "Psychosekte" und die Attribute
"destruktiv" und "pseudoreligiös" verwendet sowie den Vorwurf der
Mitgliedermanipulation erhoben. Dies war vor dem Hintergrund
zunehmender kritischer öffentlicher Auseinandersetzung mit solchen
Gruppierungen, ihrer inneren Struktur, ihren Praktiken im Umgang mit
Mitgliedern und Anhängern und den sich daraus ergebenden Folgen für
Familien und Gesellschaft geschehen. Die Bf. befürchten wegen der
Äußerungen der Bundesregierung Auswirkungen auf ihre Mitgliederzahl und
ihre finanzielle Unterstützung. Der Erste Senat hat ihrer Vb teilweise
stattgegeben und das Berufungsurteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG)
unter Zurückverweisung der Sache aufgehoben, soweit der Bundesrepublik
Deutschland die Verwendung der Attribute "destruktiv" und
"pseudoreligiös" und der Vorwurf der Mitgliedermanipulation nicht
untersagt worden ist.
In der Begründung seiner Entscheidung nimmt der Senat zur Reichweite
des Grundrechts der Religions- und Weltanschauungsfreiheit des Art. 4
Abs. 1 und 2 GG Stellung. In diesem Zusammenhang äußert er sich auch
grundsätzlich zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen
staatlicher Informationstätigkeit, insbesondere durch die
Bundesregierung.
In der Entscheidung heißt es:
a) Das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit aus Art. 4
Abs. 1 und 2 GG bietet keinen Schutz dagegen, dass sich der Staat und
seine Organe mit den Trägern dieses Grundrechts sowie ihren Zielen und
Aktivitäten öffentlich - auch kritisch - auseinandersetzen. Diese
Auseinandersetzung hat allerdings das Gebot religiös-weltanschaulicher
Neutralität des Staates zu wahren und muss daher mit Zurückhaltung
geschehen. In einer solchen öffentlichen Debatte dürfen Bezeichnungen
verwendet werden, die in der aktuellen Situation den Gegenstand der
Auseinandersetzung einprägsam und für die Adressaten der Äußerungen
verständlich umschreiben. Diffamierende, diskriminierende oder
verfälschende Darstellungen einer religiösen oder weltanschaulichen
Gemeinschaft sind dem Staat aber untersagt.
b) Die Bundesregierung ist aufgrund ihrer Aufgabe der Staatsleitung
überall dort zur Informationsarbeit berechtigt, wo ihr gesamtstaatliche
Verantwortung zukommt, die mit Hilfe von Informationen wahrgenommen
werden kann. Zur Aufgabe der Staatsleitung der Regierung gehört es,
durch rechtzeitige öffentliche Information die Bewältigung von
Konflikten in Staat und Gesellschaft zu erleichtern, oft kurzfristig
auftretenden Herausforderungen entgegenzutreten und auf Krisen und auf
Besorgnisse der Bürger schnell und sachgerecht zu reagieren sowie
diesen zu Orientierungen zu verhelfen (vgl. Pressemitteilung
Nr. 67/2002 vom 30. Juli 2002 zum Beschluss vom 26. Juni 2002
- 1 BvR 558/91 und 1 BvR 1428/91 -).
Die Zuweisung der Aufgabe der Staatsleitung durch das Grundgesetz
berechtigt die Bundesregierung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit im
Rahmen ihres Informationshandelns auch dann, wenn dadurch
mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen herbeigeführt werden
können. Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt hierfür im Hinblick auf die
Eigenart des betroffenen Sachbereichs keine darüber hinaus gehende
besondere Ermächtigung durch den Gesetzgeber. Die Voraussetzungen einer
solchen Informationstätigkeit lassen sich gesetzlich nämlich nicht
sinnvoll regeln. Gegenstand und Modalitäten staatlichen
Informationshandelns sind so vielgestaltig, dass sie allenfalls in
allgemein gehaltenen Formeln und Generalklauseln gefasst werden
könnten. Ein Gewinn an Messbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen
Handelns ist damit regelmäßig nicht erreichbar oder nur auf eine Weise,
die den Erfordernissen staatlicher Informationstätigkeit nicht gerecht
würde. Angesichts der zwangsläufig weiten und unbestimmten Fassung
einer einfachgesetzlichen Ermächtigung zum Informationshandeln der
Regierung wäre damit auch eine Entscheidung des Gesetzgebers zur Sache
in Wirklichkeit nicht verbunden.
Die Bundesregierung muss bei ihrer Informationstätigkeit aber die
Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern wahren. Sie darf
Informationen verbreiten, wenn sie sich auf Vorgänge mit überregionalem
Charakter beziehen und eine bundesweite Informationsarbeit der
Bundesregierung die Effektivität der Problembewältigung fördert. Durch
ein solches Informationshandeln wird weder das der Landesregierungen
ausgeschlossen oder behindert noch wird den Verwaltungsbehörden
verwehrt, ihre administrativen Aufgaben zu erfüllen.
Die Bundesregierung ist bei ihrer Informationstätigkeit darüber hinaus
an die Maßstäbe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gebunden.
Äußerungen, die den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG
beeinträchtigen, müssen danach insbesondere dem Anlass, der sie
ausgelöst hat, angemessen sein.
c) Der Senat stellt fest, dass die Bezeichnung der Bf. als "Sekte",
"Jugendreligion", "Jugendsekte" und "Psychosekte" nach diesen Maßstäben
verfassungsrechtlich bedenkensfrei ist. Der Gebrauch dieser Begriffe
genügt dem staatlichen Neutralitätsgebot in religiös-weltanschaulichen
Fragen. Er berührt schon den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG
nicht.
Die Kennzeichnung als "destruktiv" und "pseudoreligiös" sowie der
Manipulationsvorwurf genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen
dagegen nicht. Sie werden zwar vom Senat unter dem Gesichtspunkt der
Kompetenz der Bundesregierung nicht beanstandet. Die
Informationstätigkeit der Bundesregierung war eine überregional
geprägte Reaktion auf Vorgänge im gesellschaftlichen Raum, welche die
Öffentlichkeit, Jugendliche und junge Erwachsene wie ihre Angehörigen
seinerzeit erheblich bewegten. Diese Äußerungen halten jedoch der
verfassungsrechtlichen Prüfung deshalb nicht stand, weil sie als das
Neutralitätsgebot verletzende Äußerungen nach dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gerechtfertigt sind. Sie waren für
die Bf. diffamierend. Hinreichend gewichtige, durch konkrete Tatsachen
gestützte Gründe, welche die Äußerungen der Bundesregierung angesichts
des Zurückhaltungsgebots trotzdem rechtfertigen könnten, wurden weder
vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich. Sie ergeben sich
insbesondere nicht aus der Situation, in der die Bewertungen durch die
Bundesregierung vorgenommen wurden.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 -