FAMILIENRECHT
Kein Anspruch auf Geschlechtsmerkmal „neutral“ in Geburtsurkunde
Experten-Branchenbuch.de,
zuletzt bearbeitet am:

Geschlecht © Symbolgrafik:© Monster Ztudio - stock.adobe.com
Straßburg (jur). Intersexuelle Menschen mit einem nicht eindeutig zuzuordnenden Geschlecht können in ihrer Geburtsurkunde nicht den Geschlechtsvermerk „intersexuell“ oder „neutral“ anstelle von im Streitfall „männlich“ verlangen. Auch wenn intersexuelle Menschen sich auf ihr Recht auf Achtung des Privatlebens berufen können, kann nach der Europäischen Menschenrechtskonvention die Eintragung eines „neutralen“ Geschlechts nicht eingefordert werden, urteilte am Dienstag, 31. Januar 2023, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (Az.: 76888/17). Da es zu dieser Frage keinen europäischen Konsens gebe, sei es den einzelnen Staaten überlassen, wie schnell und in welchem Umfang sie den Forderungen intersexueller Menschen nach einem eigenen Personenstand nachkommen, erklärten die Straßburger Richter.
Im konkreten Fall wurde der in Straßburg lebende und 1951 geborene Kläger in seiner Geburtsurkunde als „männlich“ eingetragen. Kurz nach der Geburt wurde festgestellt, dass er sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale aufwies und er biologisch nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sei. Der Kläger ist verheiratet und hat mit seiner Frau ein Kind adoptiert.
Gerichtlich wollte er in seiner Geburtsurkunde die falsche Geschlechtsangabe „männlich“ korrigieren lassen. Er sei weder männlich noch weiblich und habe sich immer als intersexuell angesehen. Es verstoße gegen sein Recht auf Achtung des Privatlebens, wenn er in seiner Geburtsurkunde nicht als Geschlecht „intersexuell“ oder „neutral“ angeben könne.
Die französischen Gerichte lehnten den Antrag ab. Das Berufungsgericht Orléans stellte fest, dass intersexuelle Menschen zwar die Möglichkeit haben sollten, dass ihr Personenstand ohne Geschlechtskategorie eingetragen wird, oder dass sie das ihnen zugewiesene Geschlecht ändern lassen können. Eine Änderung sei aber nur dann erforderlich, wenn das zugewiesene Geschlecht „nicht mit ihrem körperlichen Erscheinungsbild und ihrem sozialen Verhalten übereinstimmt“.
Der EGMR folgte dieser Argumentation nicht, auch wenn die Straßburger Richter nach der Europäischen Menschenrechtskonvention ebenfalls keinen Anspruch auf Eintragung eines „neutralen“ Geschlechts sahen. Die sexuelle Identität eines Menschen dürfe nicht allein auf sein Aussehen reduziert werden, mit dem dieser von anderen Personen wahrgenommen werde. Dies würde das Recht auf Achtung des Privatlebens beeinträchtigen.
Hier müssten aber Gemeinwohlbelange berücksichtigt werden. Das Rechtssystem des französischen Staates sei auf zwei Geschlechtern aufgebaut. Würde ein Gericht die Angabe einer weiteren Geschlechtskategorie verlangen, wären mehrere Gesetzesänderungen erforderlich. Grundsätzlich obliege es aber dem Gesetzgeber und nicht der Justiz, ob eine weitere Geschlechtskategorie anerkannt werden müsse.
Es gebe in dieser Frage auch keinen europäischen Konsens, so dass es letztlich dem jeweiligen Staat überlassen sei, wie schnell und in welchem Umfang er den Forderungen intersexueller Menschen nach einem eigenen Personenstand nachkommt.
Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage
Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock