FAMILIENRECHT
Keine vollständig angepasste Geburtsurkunde für Transsexuelle
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Straßburg (jur). Transsexuelle haben keinen Anspruch auf eine vollständige Anpassung ihrer Geburtsurkunde an das neue Geschlecht. Das gilt jedenfalls dann, wenn das ursprüngliche Geschlecht im Alltag nicht sichtbar wird, wie am Donnerstag, 17. Februar 2022, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg entschied (Az.: 74131/14). Er wies damit die Klage eines Frau-zu-Mann-Transsexuellen aus Polen ab.
Der heute 52-Jährige wurde als Mädchen geboren, hatte sich aber später einer Geschlechtsanpassung unterzogen. Er hat eine Adoptivtochter, deren französische Geburtsurkunde ihn als „Vater“ ausweist.
Auch die eigene Geburtsurkunde wurde nach einer entsprechenden Gerichtsentscheidung geändert. Durch einen Verweis auf diese Entscheidung war allerdings erkennbar, dass der neue Name auf eine Geschlechtsanpassung zurückgeht.
2008 forderte er erfolglos, diesen Verweis zu streichen. Daher beantragte er 2011 schließlich eine neue Geburtsurkunde. Auch dies lehnten die polnischen Behörden und Gerichte durch alle Instanzen ab.
Auch seine Beschwerde vor dem EGMR blieb nun ohne Erfolg. Der Transsexuelle habe nicht dargelegt, dass die ausführliche Geburtsurkunde in seinem Alltag relevant ist und Nachteile für ihn bringt.
Der Frau-zu-Mann-Transsexuelle lebe als Mann und sei verheiratet. Von seiner Geburtsurkunde habe er eine Kurzfassung, die ihn ohne Bezug auf die Geschlechtsanpassung als Mann ausweist. Diese reiche für übliche Formalitäten aus. Die Langfassung sei nicht öffentlich zugänglich und werde nur für ganz seltene Angelegenheiten gebraucht.
Insgesamt seien die polnischen Behörden diskret mit der Geschlechtsanpassung umgegangen, betonte der EGMR. Gleichzeitig habe der Staat aber auch ein legitimes Interesse daran, die Zuverlässigkeit und Beständigkeit von Personenstandsunterlagen zu gewährleisten.
Die Situation seiner Adoptivtochter sei mit der eigenen nicht vergleichbar, so der EGMR abschließend. Auch eine diskriminierende Ungleichbehandlung liege daher nicht vor.
Mit Blick auf die Verlässlichkeit und historische Nachvollziehbarkeit hatte in Deutschland das Oberlandesgericht Schleswig entschieden, dass Transsexuelle ihren früheren Namen im Handelsregister nicht löschen können (Beschluss vom 17. April 2014, Az.: 2 W 25/14; JurAgentur-Meldung vom 23. Mai 2014).
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock