SOZIALRECHT
Krankenkassen dürfen sich Schiedsspruch nicht entziehen
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Kassel (jur). Im Streit um die Vergütung einer häuslichen Krankenpflege dürfen sich die gesetzlichen Krankenkassen nicht einem Schiedsspruch entziehen. Die von einer Pflegeeinrichtung angerufene Schiedsperson kann bei einer noch offenen Vergütung der häuslichen Krankenpflege eine „zügige Preisfestlegung“ und damit einen Gesamtzahlbetrag bestimmen, urteilte am 14. Juli 2022 das Bundessozialgericht (BSG) (Az.: B 3 KR 1/22 R). Dafür sei es nicht erforderlich, dass zwischen Krankenkasse und Pflegezentrum bereits eine vertragliche Vereinbarung besteht.
Im konkreten Fall stritten sich die Barmer und das Pflegezentrum Kirchheim in Baden-Württemberg um die Vergütung einer erbrachten häuslichen Krankenpflege. Üblicherweise wird die vom Arzt verordnete häusliche Krankenpflege zu Hause beim Versicherten erbracht. Aber auch an einem anderen „geeigneten Ort“ wie etwa in Werkstätten für behinderte Menschen ist dies möglich, in Einzelfällen sogar in einer Pflegeeinrichtung. Dies soll eine stationäre Krankenhausbehandlung vermeiden.
Im vorliegenden Verfahren ging es um eine Versicherte, die vom Krankenhaus direkt ins Pflegezentrum kam. Dort erhielt sie eine ärztlich verordnete häusliche Krankenpflege in Form einer 24-stündigen Dauerbeatmung. Nach achteinhalb Monate verstarb sie in dem Pflegezentrum.
Die Einrichtung konnte sich mit der Barmer jedoch nicht über die Vergütung der Dauerbeatmung einigen. Eine vertragliche Vereinbarung über die Einzelheiten der Versorgung hatte es zuvor nicht gegeben. Nach den Richtlinien des sogenannten Gemeinsamen Bundesausschusses übernimmt die Krankenkasse aber die Kosten. Bei einem erheblichen Pflegebedarf gibt es zudem eine zusätzliche Vergütung.
Die Barmer reagierte auf die Forderung nach einer Zusatzvergütung nicht, so dass das Pflegezentrum die in solchen Fällen zuständige Schiedsperson anrief.
Diese entschied, dass dem Pflegezentrum mit der Dauerbeatmung ein zusätzlicher Aufwand von drei Stunden täglich entstanden sei. Die Krankenkasse sollte danach täglich hierfür 78,75 Euro zahlen, insgesamt 20.396,25 Euro für 259 Pflegetage.
Die Krankenkasse hielt den Schiedsspruch für unwirksam. Ein Schiedsspruch, mit dem eine Gesamtvergütung festgelegt werde, könne nur zu einer vorher bestehenden vertraglichen Vereinbarung ergehen. Hier habe es aber gar keine Vereinbarung über die Dauerbeatmung gegeben.
Doch das BSG urteilte, dass eine gesetzliche Krankenkasse sich nicht dem Schiedsverfahren entziehen darf. Hier sei unstrittig, dass die Versicherte die Dauerbeatmung in Form der häuslichen Krankenpflege benötigte und die Krankenkasse damit dem Grunde nach leistungspflichtig sei. Ab dem Tag der Aufnahme habe das Pflegezentrum aus Vertrauensschutzgründen Vergütungsansprüche erworben. Zu Recht habe die Einrichtung zunächst die Aufnahme von Verhandlungen über die Höhe des Vergütungsanspruchs verlangt und bei einem Scheitern das Schiedsverfahren betrieben.
Die Schiedsperson könne dann auch ohne vorherige vertragliche Vereinbarung die „maßgebenden preisbildenden Faktoren“ festlegen. Dazu gehörten der Zeitaufwand und der Pflege-Stundensatz. Die Schiedsperson könne mit dem Ziel einer „zügigen Preisfestlegung im Streitfall“ den so gebildeten Gesamtzahlbetrag rückwirkend bestimmen.
Der Schiedsspruch sei hier auch nicht „unbillig“. Die Krankenkasse habe auf keine Unschlüssigkeiten in der Kostenstruktur hingewiesen. Wegen des rechtmäßig ergangenen Schiedsspruchs erklärte sich die Barmer daraufhin zur Zahlung der 20.396,25 Euro bereit.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock