ARBEITSRECHT
Kündigung eines Vertrauensmanns wegen kritischer Äußerungen über Arbeitsgeber
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Kündigung eines gewerkschaftlichen Vertrauensmanns wegen kritischer Äußerungen über den Arbeitgeber im gewerkschaftseigenen Intranet
Der Kläger war seit 1995 bei der Beklagten als Entsorger beschäftigt. Er war gewählter Vertrauensmann der IG Metall. Im Jahr 2000 kam es im Betrieb zu einer Diskussion wegen des hohen Krankenstands. In einer betriebsintern vertriebenen Zeitschrift wurde ein Zwischenbericht zu diesem Thema veröffentlicht, in dem der hohe Krankenstand türkischer Mitarbeiter ua. mit dem Hinweis "auf Grund Landeskultur und/oder Qualifikation?" versehen wurde. Nachdem es deswegen zu Kritik gekommen war, nahm die Beklagte in einem klarstellenden Aushang vom 7. Dezember 2000 den Begriff "Landeskultur" ausdrücklich zurück. Am 15. Dezember 2000 stellte der Kläger ein diesen Vorgang betreffendes kritisches Schreiben in das von der IG Metall im Internet betriebene "Netzwerk Küste", nachdem an seinem Fahrzeug ein Scheinwerfer eingetreten worden war. In dem Schreiben hieß es ua.:
"Leider war da schon der braune Mob aktiviert und sie wagten sich, gestärkt durch einen leitenden Angestellten, aus ihren Verstecken."
Der Zugang zum "Netzwerk Küste" bedarf eines Passworts. Über dieses verfügen insgesamt ca. 800 Personen, darunter auch gewerkschaftsexterne Berater und Referenten. Der Artikel des Klägers wurde der Personalabteilung der Beklagten am 16. Februar 2001 anonym zugeleitet. Drei Tage später wurde er - von unbekannter Seite - im Betrieb am schwarzen Brett ausgehängt. Durch den Artikel fühlten sich zwei Betriebsratsmitglieder und ein leitender Angestellter beleidigt. Der Kläger distanzierte sich von dem Artikel nicht. Mit Schreiben vom 21. Februar 2001 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos, hilfsweise fristgemäß.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage. Er habe sich mit dem Artikel im Rahmen einer gewerkschaftlichen Willensbildung geäußert. Deshalb greife Art. 9 Abs. 3 GG zu seinem Schutz ein. Der Artikel sei ohne sein Zutun in die Betriebsöffentlichkeit gelangt. Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe den Betriebsfrieden erheblich gestört. Er habe ihre Arbeitnehmer mit seiner Formulierung, es existiere ein brauner Mob, beleidigt. Der Kläger habe auch damit rechnen müssen, dass seine Erklärungen öffentlich bekannt würden. Seine Äußerungen seien weder durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG noch durch das Recht auf gewerkschaftliche Betätigung gemäß Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwar nicht durch die fristlose, aber durch die fristgerechte Kündigung aufgelöst worden ist.
Das Bundesarbeitsgericht hat das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt. Die bloße Beeinträchtigung des Betriebsfriedens ohne konkrete Feststellung einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung reicht zur Annahme eines verhaltensbedingten Kündigungsgrundes nicht aus. Bei der Ausgestaltung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers (vgl. § 241 Abs. 2 BGB) sind die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere das Grundrecht des Arbeitnehmers auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) zu beachten. Mit der überragenden Bedeutung dieses Grundrechts wäre es unvereinbar, wenn Art. 5 Abs. 1 GG in der betrieblichen Arbeitswelt, die für die Lebensgrundlage zahlreicher Staatsbürger wesentlich bestimmend ist, nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre. Die Äußerung des Klägers im Intranet seiner Gewerkschaft stellt sich als eine grundrechtlich geschützte Inanspruchnahme seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit dar. Weder nach Form noch nach Inhalt verletzt sie strafrechtliche Regelungen oder die persönliche Ehre der Beklagten, ihres leitenden Angestellten oder der Beschäftigten und Mitglieder des Betriebsrats. Der Kläger wollte diese Personen jedenfalls in ihrer persönlichen Ehre nicht angreifen. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Äußerungen nicht vom Kläger in die Betriebsöffentlichkeit gebracht worden sind. In einem solchen Fall muss der Freiheit der Meinungsäußerung der Vorrang gebühren. Mangels schuldhafter Pflichtverletzung des Klägers fehlt es schon am verhaltensbedingten Kündigungsgrund.
BAG, Urteil vom 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 -
Vorinstanz: LAG Schleswig-Holstein, Teilurteil vom 22. März 2002 und Anerkenntnis-Schlussurteil vom 14. Juni 2002 - 1 Sa 430/01 -