SCHADENSERSATZ UND SCHMERZENSGELD
Leichtsinniges Erschrecken mit schlimmen Folgen: 70.000 DM für Augenverletzung
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zuletzt bearbeitet am:
vom 21.11.2000, Az. 1 U 2923/00
- Leichtsinniges Erschrecken mit schlimmen Folgen
- Schlag gegen Fensterscheibe lässt Scheibe bersten
- Schwere Augenverletzung durch herumfliegende Glassplitter
- 70.000 DM Schmerzensgeld für 15-Jährigen
- Zusätzlich Ersatz aller künftigen Schäden
Leitsatz
Zur Höhe des Schmerzensgeldanspruches (hier: 70.000 DM) nach der Verletzung eines Auges bei einer erheblichen, dauerhaften Einschränkung der Sehfähigkeit mit kosmetischer Beeinträchtigung für einen zur Tatzeit 15-Jährigen, die ihm ein mit einfacher Fahrlässigkeit handelnder 17-Jähriger zugefügt hat.
Entscheidungsgründe
(Auszug)
Beide Berufungen sind zulässig, haben aber in der Sache keinen Erfolg.
1. Wie das Erstgericht hält auch der Senat ein Schmerzensgeld von insgesamt 70.000,00 DM als Ausgleich der vom Kläger erlittenen Verletzung und der noch zu erduldenden dauernden Beeinträchtigungen für angemessen.
Um Wiederholungen zu vermeiden, nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Darlegungen und Erwägungen im Urteil des Landgerichts .... Ergänzend ist zum Parteivorbringen in der Berufungsinstanz folgendes auszuführen:
a) Der zum Unfallzeitpunkt 15-jährige Kläger wurde durch den damals 17-jährigen Beklagten, der ihn erschrecken wollte, ganz erheblich am linken Auge verletzt: Der Beklagte hatte mit einem Besenstiel von innen gegen das Fenster eines Gartenhäuschens gestoßen, den Stoß jedoch ungewollt so heftig geführt, daß die Scheibe barst und ein herumfliegender etwa 3 cm großer Glassplitter in den linken Augapfel des Klägers, der vor dem Fenster stand, eindrang.
Bei diesem Sachverhalt liegen Anhaltspunkte für ein grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten nicht vor. In den Fällen einfacher Fahrlässigkeit überwiegt die Funktion des Schmerzensgeldes, immaterielle Schäden auszugleichen, und tritt der Gedanke der Genugtuung demgegenüber zurück (vgl. BGH 18, 149, 158).
b) Insbesondere Art und Umfang der unfallbedingten Lebensbeeinträchtigung des Klägers rechtfertigen vorliegend ein Schmerzensgeld von insgesamt 70.000,00 DM.
aa) Am 3.9.1995 wurde das linke Auge des Klägers erheblichst verletzt:
Der Kläger erlitt eine durchbohrende Bindehaut-, Lederhaut-, Netzhaut- und Augapfelverletzung mit seitlicher Eröffnung des Augapfels.
Da sich während des Heilungsverlaufs wiederholt Netzhautnarbenstränge mit nachfolgender Netzhautablösung bildeten, wurden bislang insgesamt fünf Operationen notwendig, letztmals am 4.4.1997. Seitdem liegt die Netzhaut an (vgl. Seite 3 des Gutachtens Prof. Dr. ..., Vorstand der Augenklinik der Universität ....).
bb) Unfallbedingt ist das Sehvermögen des Klägers auf dem linken Auge erheblich vermindert: Es beschränkt sich mit Korrektur auf 10 %, ohne Korrektur auf "1/50 Lesetafel in 20 cm". Die Fähigkeit, räumlich zu sehen, ging unfallbedingt verloren. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 20 %, die Minderung der Gebrauchsfähigkeit des linken Auges bei korrigiertem Visus 20/30 ....
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger zum verbliebenen Sehvermögen - unbestritten - erklärt, daß er weder harte noch weiche Kontaktlinsen vertrage, so daß eine Korrektur praktisch nicht erfolgen könne. Seine Angaben vor dem Erst- und auch vor dem Berufungsgericht, die Richter mit dem linken Auge nur schemenhaft zu sehen, ist daher durchaus glaubhaft.
cc) Hinzu kommt eine deutlich sichtbare kosmetische Beeinträchtigung, insbesondere eine Außenschielstellung. Hiervon konnte sich der Senat in der mündlichen Verhandlung überzeugen. Die Schielstellung wird zudem im ärztlichen Gutachten als unfallbedingter Dauerschaden aufgeführt.
dd) Unter diesen erheblichen Unfallfolgen wird der noch junge Kläger Zeit seines Lebens zu leiden haben. Die Sehbehinderung, vor allem das fehlende räumliche Sehen, schränkt die Möglichkeiten bei der Berufswahl ein und kann sich auch bei so mancher Sport- und Freizeitbetätigung, wie zum Beispiel Tennisspielen und Bergsteigen, auswirken.
Zwar ist eine Verschlechterung aus Sicht des Gutachters eher unwahrscheinlich; mit den nicht auszuschließenden Risiken einer erneuten Netzhautablösung, der Entwicklung eines grünen Stars, einer Schrumpfung, Erblindung oder auch Entfernung des blinden und schmerzhaften linken Auges ... muß der Kläger aber leben. Hierin liegt eine psychische Beeinträchtigung, die nicht vernachlässigt werden kann.
Dagegen geht der Senat nicht davon aus, daß die hinter dem Beklagten stehende Haftpflichtversicherung verzögert reguliert hat, so daß sich die Frage, inwieweit ein solcher Umstand Schmerzensgeld erhöhend wirkt, vorliegend nicht stellt. Zwar wurden im Jahre 1995 insgesamt nur 5.000,00 DM gezahlt. Das ärztliche Gutachten lag aber erst im Juli 1998 vor. Auf dieses Gutachten hat die Haftpflichtversicherung mit den Zahlungen über 5.000,00 DM am 31.7.1998 und 30.000,00 DM am 22.1.1999 in angemessener Zeit reagiert.
Unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte hält auch der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 70.000,00 DM für angemessen. Ein Vergleich mit von der Rechtsprechung entschiedenen, ähnlich gelagerten Fällen ergibt, daß das zuerkannte Schmerzensgeld eher im oberen als im unteren Bereich des bislang üblichen angesiedelt ist (siehe in Hacks-Ring-Böhm, Schmerzensgeldtabelle, 19. Auflage, insbesondere Nr. 1735 = Urteil des OLG Düsseldorf vom 6.7.1990, VersR 92, 462: 30.000,00 DM bei Erblindung eines Auges, MDE 30 %, bei grob fahrlässigem Verhalten; Nr. 1813: Urteil des OLG Köln vom 16.12.1987, ZfS 89, 78: 35.000,00 DM bei Verlust eines Auges mit Berufsunfähigkeit; Nr. 1853: Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16.5.1990, ZfS 90, 223: 40.000,00 DM bei Erblindung eines Auges; Nr. 1876: Urteil des OLG München vom 20.11.1986, DAR 88, 55: 40.000,00 DM bei einem restlichen Sehvermögen von 20 % auf dem verletzten Auge sowie einer Entstellung; OLG Nürnberg, Urteil vom 18.8.1995, 6 U 949/95: 50.000,00 DM bei einem Sehvermögen auf dem geschädigten Auge von noch 5 %; aber auch Nr. 2161: Urteil KG Berlin, Urteil vom 16.4.1991, r + s 92, 92: 100.000,00 DM bei fast völliger Erblindung auf einem Auge eines vierjährigen Mädchens sowie einem kosmetisch auffälligen Befund).
Der praktisch weitgehende Verlust des Sehvermögens auf einem Auge zumal bei einem noch jungen Menschen stellt aber nach Auffassung des Senates eine so weitgehende und folgenreiche Beeinträchtigung dar, daß ein Schmerzensgeld in Höhe von 70.000,00 DM gerechtfertigt ist. Ein noch höherer Betrag, insbesondere in der Größenordnung, die sich der Kläger vorstellt, würde allerdings in keinem angemessenen Verhältnis zu den Summen stehen, die in Deutschland für noch schwerwiegendere Beeinträchtigungen - zum Beispiel wenn beide Augen betroffen sind - zugesprochen werden.
Der Senat teilt daher die Ansicht des Landgerichts, das dem Kläger über die bereits außerprozessual gezahlten 40.000,00 DM ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 30.000,00 DM zuerkannt hat.
2. Zu Recht hat das Landgericht weiter das Interesse des Klägers an der Feststellung bejaht, daß der Beklagte zum Ersatz künftiger unfallbedingter materieller und immaterieller Schäden verpflichtet ist. Insbesondere liegt kein Anerkenntnis des Beklagten vor, das eine Feststellungsklage entbehrlich machen würde.
Zum einen existiert keine Erklärung des Beklagten persönlich, sondern nur eine Erklärung der privaten Haftpflichtversicherung des Beklagten. Daß diese mit ihrem Schreiben vom 25.2.1999 sich auch verbindlich für den Beklagten erklären wollte und konnte, ist nicht vorgetragen. Eine generell geltende Zurechnungsnorm oder Zurechnungsvereinbarung - wie zum Beispiel § 10 Abs. 2 AKB für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung - ist ebenfalls nicht vorhanden.
Zum anderen hat sich die XY Versicherungs AG im Schreiben vom 25.2.1999 nur verpflichtet, "über ein zusätzliches Schmerzensgeld zu verhandeln". Zwar ist diese Erklärung auslegungsfähig: Sie könnte auch im Sinn der Anerkennung einer Verpflichtung zum Ersatz künftiger materieller und immaterieller Schäden verstanden werden, insbesondere wenn man sie im Zusammenhang mit der im selben Satz des Schreibens enthaltenen Verpflichtungserklärung "künftigen materiellen Schaden, der nachweislich unfallbedingt ist, zu erstatten" liest. Eindeutig ist dies jedoch nicht. Mögliche Schwierigkeiten einer Auslegung dürfen aber nicht zu Lasten des Geschädigten gehen. Ein Anerkenntnis muß vielmehr eindeutig formuliert sein. Ist es das nicht, so hat der Geschädigte weiterhin ein Interesse an der rechtskräftigen Feststellung der Ersatzpflicht des Schädigers für künftige Schäden, sofern solche, wie vorliegend zu bejahen, möglich erscheinen.
(Urteil des Oberlandesgericht Nürnberg
vom 21.11.2000, Az. 1 U 2923/00)