EU-RECHT
Missachtete Menschenrechte in der Türkei
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Straßburg (jur). Mit der anhaltenden Inhaftierung des türkischen Verlegers, Kulturmäzens und Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala verletzt die Türkei die vertraglichen Pflichten zur Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dies hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)in einem am Montag, 11. Juli 2022, verkündeten Urteil entschieden (Az.: 28749/18). Die Straßburger Richter bestätigten damit die Auffassung des Ministerkomitees des Europarates, dass die Türkei ein früheres Urteil des EGMR zur Freilassung Kavalas missachtet.
Der Geschäftsmann Kavala hatte in der Vergangenheit zahlreiche Nichtregierungsorganisationen in der Türkei gegründet, die sich für Menschenrechte, Kultur oder auch für den Umweltschutz einsetzten.
Als im Mai 2013 in Istanbul Proteste wegen des Abrisses des Gezi-Parks eskalierten und dabei sechs Menschen getötet und Tausende verletzt wurden, machten die türkischen Behörden Kavala für die Ausschreitungen mitverantwortlich. Dieser habe die Demonstrationen geleitet und organisiert. Auch eine Unterstützung des Militärputschversuchs gegen die türkische Regierung in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016 wurde Kavala unterstellt. Kavala befindet sich seit dem 18. Oktober 2017 in Haft.
Doch mit der Inhaftierung sollten offenbar nur Menschenrechtsaktivisten mundtot gemacht und abgeschreckt werden, urteilte am 10. Dezember 2019 der EGMR (Az.: 28749/18; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag). Es gebe keine Belege, dass Kavala die Gezi-Park-Proteste mit zu verantworten oder einen Umsturz geplant habe. Allein Kontakte zu einer verdächtigen Person reichten als Beleg nicht aus, dass Kavala die verfassungsmäßige Ordnung stürzen wollte. Es gebe keine Hinweise, dass er „irgendeine Straftat“ begangen habe. Die Straßburger Richter verlangten in ihrem Urteil verbindlich die umgehende Freilassung Kavalas.
Dem folgte die Türkei jedoch nicht. Am 18. Februar 2020 sprach ein Gericht Kavala wegen der Vorwürfe um die Gezi-Park-Proteste zwar frei. Die Freilassung gegen Kaution scheiterte aber an neuen Vorwürfen. Nun wurde Kavala wegen Spionage weiter in Haft gehalten.
Das Ministerkomitee des Europarates sah in der andauernden Haft eine Missachtung des EGMR-Urteils aus 2019 und legte den Streit nun der Großen Kammer des EGMR zur Überprüfung vor.
Zwischenzeitlich wurde der Menschenrechtsaktivist am 25. April 2022 zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen eines angeblichen Versuchs, die Regierung gewaltsam zu stürzen, verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Kavala befindet sich weiterhin in Haft.
Die Große Kammer des EGMR stellte nun fest, dass die Türkei im Fall Kavalas mit der Inhaftierung fortlaufend ihre vertraglichen Verpflichtungen zur Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt. Die Türkei habe das frühere verbindliche Urteil des EGMR, welches die Freilassung des Geschäftsmannes anordnete, nicht umgesetzt.
Die türkische Staatsanwaltschaft habe zwar nach dem EGMR-Urteil von 2019 einen neuen Tatvorwurf gegen Kavala geltend gemacht. Dieser stütze sich aber im Wesentlichen auf identische Tatsachen, die sich bereits im früheren Verfahren als unhaltbar erwiesen hätten, so die Antwort des EGMR auf das vom Ministerkomitee des Europarates angestrengte Vertragsverletzungsverfahren. Die Verfahrenskosten in Höhe von 7.500 Euro muss die türkische Regierung zahlen.
Welche Auswirkungen das Urteil hat, ist unklar. Der EGMR kann die Türkei nicht zwingen, Kavala freizulassen. Bei einer anhaltenden Missachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention ist aber ein Ausschluss aus dem Europarat möglich.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock