STRAFRECHT
Nach 47 Haftjahren Chance auf Freiheit auch für einen Mörder
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Bewährung nach 47 Jahren Haft? © Elnur - stock.adobe.com
Karlsruhe (jur). Nach 47 Jahren Gefängnis müssen Gerichte auch bei einem zu lebenslanger Haft verurteilten Mörder eine beantragte Entlassung auf Bewährung ernsthaft prüfen. Das betonte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Freitag, 31. März 2023, veröffentlichten Beschluss (Az.: 2 BvR 117/20 und 2 BvR 962/21). Es gab damit der Beschwerde eines heute 79 Jahre alten Mannes statt. Je länger die Haft schon dauere, desto genauer sei ein solcher Antrag zu prüfen und eine Ablehnung zu begründen.
Der Beschwerdeführer wurde 1944 geboren und fiel schon in den 1960-er Jahren als Voyeur auf. 1970 drang er nachts in ein Wohnhaus ein, weil er Geschlechtsverkehr mit der Tochter des Hauses haben wollte. Allerdings wurde zunächst deren Mutter wach. Der Mann erstach sie in ihrem Schlafzimmer mit einem mitgeführten Messer. Anschließend ging er in das Zimmer der Tochter. Als die sich seinem Wunsch verwehrte, tötete der stark erregte Mann auch sie. 1972 wurde er deswegen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Nach 47 Haftjahren beantragte der damals 75-Jährige 2019 eine Aussetzung des Rests der Strafe auf Bewährung. Das Landgericht Koblenz und in der Folge auch das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz lehnten dies ab. Der Mann habe seine Taten bislang nicht aufgearbeitet. Daher könne es zu weiteren sexuell motivierten Straftaten kommen. Auch ein weiterer Antrag im Jahr 2021 blieb ohne Erfolg.
Das Bundesverfassungsgericht hob diese Entscheidungen nun auf. Ihnen fehle die hier notwendige „Gesamtwürdigung“ aller Umstände. Dabei komme dem „grundsätzliche Freiheitsanspruch des Verurteilten“ mit zunehmender Haftdauer ein immer stärkeres Gewicht zu.
Hier hätten die Gerichte weiterhin eine „sexuelle Dranghaftigkeit“ unterstellt, ohne auf das hohe Alter des Mannes auch nur einzugehen. Eine Prüfung sei aber naheliegend, ob dieser Drang inzwischen abgenommen hat.
Dass der Mann zeitweise regelwidrig pornografische Schriften in seiner Zelle hatte, führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn ein erhöhtes Risiko künftiger Straftaten lasse sich daraus nicht ableiten.
Seit 2017 sei der Mann im offenen Vollzug. Auch bei längeren Ausgängen habe es dabei bislang keinen Beschwerden gegeben.
Schließlich verwiesen die Karlsruher Richter auf ein Gutachten, wonach der Mann nicht impulsiv handele. In solchen Fällen sei es meist möglich, das Risiko neuer Straftaten durch Auflagen zu begrenzen. Auch dies hätten die Gerichte bislang nicht geprüft.
Nach dem jetzt schriftlich veröffentlichten Beschluss vom 24. Februar 2023 soll das Landgericht Koblenz diese Versäumnisse nun nachholen.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock