SCHADENSERSATZ UND SCHMERZENSGELD
OLG: 10.000 Euro Schmerzensgeld wegen unfreiwilliger Beschneidung eines Jungen
Experten-Branchenbuch.de,
zuletzt bearbeitet am:
Die im muslimischen Lebens- und Kulturkreis übliche Beschneidung von Jungen stellt ohne
wirksame Einwilligung in die Vornahme des ärztlichen Eingriffs eine Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts und rechtswidrige Körperverletzung dar, die ein Schmerzensgeld
rechtfertigen kann. Dies hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main jetzt in
einem Prozesskostenhilfeverfahren entschieden.
Der Antragsteller begehrte Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der er seinen Vater wegen seiner
im 12. Lebensjahr veranlassten Beschneidung auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe
von 10.000 Euro in Anspruch nehmen will.
Die Eltern des Antragstellers sind geschieden. Der Antragsteller wohnt bei seiner Mutter, die
auch das alleinige Sorgerecht für ihn hat. Zum fraglichen Zeitpunkt verbrachte er jedoch die Ferien
bei seinem Vater, einem streng gläubigen Moslem. Auf dessen Veranlassung hin wurde der
Junge von einem Arzt beschnitten. Die Mutter, die nicht Muslima ist, hatte die Beschneidung
stets abgelehnt.
Der Prozesskostenhilfeantrag hatte in 2. Instanz Erfolg, weil dem Antragsteller ein Entschädigungsanspruch
wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts und rechtswidriger
Körperverletzung zustehen könne. Sein Vater habe den nicht einsichts- und nicht einwilligungsfähigen
Jungen bewogen, sich der Beschneidung zu unterziehen, ohne Inhaber des elterlichen
Sorgerechts zu sein und damit rechtswidrig in dessen Selbstbestimmungsrecht eingegriffen. Dabei
lässt der Senat ausdrücklich offen, ob generell und bis zu welchem Alter die Einwilligung zu
einer Beschneidung durch muslimische Eltern als vom Erziehungs- und Sorgerecht umfasst angesehen
werden könnte. Die Beschneidung könne, auch wenn sie keine gesundheitlichen
Nachteile mit sich bringe, im Einzelfall für das kulturell-religiöse und körperliche Selbstverständnis
des Betroffenen von Bedeutung sein. Die Entscheidung hierüber falle deshalb in den
Kernbereich des Rechts einer Person, über sich und ihr Leben zu bestimmen. Die Zubilligung
eines Schmerzensgeldes setze nicht voraus, dass der Antragsteller tatsächlich körperliche oder
seelische Nachteile erlitten habe oder erleiden werde. Angesichts der Schwere der Verletzung
des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes rechtfertige allein schon die Genugtuungsfunktion eine
Geldentschädigung. In welcher Höhe ein Schmerzensgeld letztlich gerechtfertigt sei, hänge
davon ab, ob und inwieweit der Antragsteller langfristig körperliche oder seelische Nachteile
erleide oder, wie er behauptet, wegen seiner Andersartigkeit von gleichaltrigen verspottet werde.
Diese Umstände bedürfen nach Auffassung des Senats noch der Darlegung im Einzelnen. Zu
berücksichtigen sei dabei auch, dass die Beschneidung im Allgemeinen für die Sexualität des
Mannes keine Bedeutung habe und der Antragsteller noch darlegen müsse, worin gerade für ihn
in der Beschneidung ein Leiden liege. Über die endgültige Höhe des Schmerzensgeldes ist daher
nunmehr im Klageverfahren zu befinden.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 21. August 2007 - Az: 4 W 12/07
Quelle: OLG Frankfurt a.M.