VERFASSUNGSRECHT
Pflicht zur Beteiligung von Bürgern und Gemeinden bei Windenergie
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Karlsruhe (jur). Die Bundesländer dürfen Betreiber von Windenergieanlagen verpflichten, die örtlich betroffenen Bürger und Gemeinden an den Erlösen zu beteiligen. Mit einem am Donnerstag, 5. Mai 2022, veröffentlichten Beschluss billigte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe weitgehend das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern (Az.: 1 BvR 1187/17). Der damit verbundene „schwerwiegende Eingriff in die Berufsfreiheit“ ist durch die Ziele des Gesetzes gerechtfertigt, insbesondere den Klimaschutz und die Sicherung der Stromversorgung.
Nach dem Landesgesetz müssen die Investoren beziehungsweise „Vorhabenträger“ für Windkraftanlagen örtliche Projektgesellschaften gründen. Diese müssen den betroffenen Gemeinden und Anwohnern im Umkreis von fünf Kilometern mindestens 20 Prozent der Anteile an der jeweiligen Projektgesellschaft anbieten. Alternativ steht den Gemeinden eine „Ausgleichsabgabe“ in Höhe der entsprechenden Gewinnanteile zu.
Ziel des Gesetzes ist es, die Akzeptanz für neue Windenergieanlagen zu verbessern und so den weiteren Ausbau der Windenergie an Land zu fördern.
Ein Unternehmen der Windenergiebranche, das einen Windpark in Mecklenburg-Vorpommern plant, sieht dadurch seine Berufsfreiheit, die Eigentumsfreiheit und den aus dem Gleichheitsgebot abgeleiteten Grundsatz der „abgabenrechtlichen Belastungsgleichheit“ verletzt.
Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde des Unternehmens nun mit Ausnahme eines Teils der Informationspflichten ab. Es bestätigte dabei zunächst die Gesetzgebungskompetenz des Landes. Dies könne sich auf eine entsprechende Öffnungsklausel im Erneuerbare-Energien-Gesetz des Bundes berufen.
Wegen seiner unmittelbaren Zielsetzung sei die Abgabe verfassungsrechtlich gesehen auch keine Steuer. „Für die in den Standortgemeinden lebenden Personen soll durch die gesetzlich vorgegebene Verwendung der Abgabemittel konkret erfahrbar werden, dass die Erzeugung von Windenergie nicht nur Beeinträchtigungen der Landschaft mit sich bringt, sondern auch die örtliche Lebensqualität verbessert“, heißt es hierzu in dem Karlsruher Beschluss. Damit diene die Abgabe unmittelbar dem gemeinwohldienlichen Ausbau der Windenergie.
Zur Begründung verwiesen die Karlsruher Richter auf den Grundrechtscharakter des Klimaschutzes (hierzu Grundsatzbeschluss vom 24.03.2021, Az.: 1 BvR 2656/18; JurAgentur-Meldung vom 29. April 2021) und zudem auf die Gemeinwohlziele einer sicheren Stromversorgung und einer geringeren Abhängigkeit von Energieimporten. Das Gesetz sei auch geeignet, um diese Ziele zu erreichen.
Die Abgabe und den mit der Gründung der Projektgesellschaften verbundenen Organisationsaufwand bewertete das Bundesverfassungsgericht zwar als einen Eingriff in die Berufsfreiheit von „beträchtlicher Intensität“. Dies sei aber durch das Gewicht und auch die „Dringlichkeit der verfolgten Gemeinwohlzwecke“ gerechtfertigt.
Den Hinweis des Windenergieunternehmens auf den geringen Anteil Mecklenburg-Vorpommerns an den weltweiten Treibhausgasemissionen ließen die Karlsruher Richter nicht gelten. „Es liegt hier in der Natur der Sache, dass einzelnen Maßnahmen für sich genommen nicht die allein entscheidende Wirkung zukommt. Weil der Klimawandel aber nur angehalten werden kann, wenn all diese vielen, für sich genommen oft kleinen Mengen von CO2-Emissionen lokal vermieden werden, kann einer einzelnen Maßnahme nicht entgegengehalten werden, sie wirke sich nur geringfügig aus.“
Weiter verwies das Bundesverfassungsgericht auf den bundesweiten „Pilotcharakter“ des Gesetzes in Mecklenburg-Vorpommern. Auch könne mehr Klimaschutz in Deutschland andere Länder zu ähnlichen Schritten ermutigen.
Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat Mecklenburg-Vorpommern aber auch die Belange der Betreiber ausreichend berücksichtigt. Insbesondere führe die Pflicht zur Abgabe von Anteilen in Höhe von 20 Prozent nicht zu einer Sperrminorität. Bürger und Gemeinden könnten daher weder das Geschäft der Projektgesellschaft bestimmen noch Entscheidungen blockieren. Zudem decke sich das Ziel einer besseren Akzeptanz der Windenergie „mit dem Gesamtinteresse der Branche der Anlagenbetreiber an einer Ausweitung geeigneter Flächen, die für die Nutzung zur Erzeugung von Windenergie zur Verfügung stehen“.
Im Grundsatz bestätigten die Karlsruher Richter auch die gesetzliche Pflicht der Vorhabenträger, die betroffenen Gemeinden über ihre Vorhaben zu informieren. Dabei müssen sie aber nicht auch gleich den Anteilspreis benennen. Der hierfür erforderliche hohe Kalkulationsaufwand sei den Betreibern im frühen Stadium des Projekts nicht zumutbar, entschied das Bundesverfassungsgericht in seinem jetzt schriftlich veröffentlichten Beschluss vom 23. März 2022.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock