VERFASSUNGSRECHT
Presseinterview mit Gefangenen regelmäßig nicht schädlich
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Karlsruhe (jur). Ein Strafgefangener darf regelmäßig einem Journalisten Interviews geben. Es verstößt gegen sein Recht auf Meinungsfreiheit, wenn die Justizvollzugsanstalt (JVA) dem Gefangenen das Interview mit dem Argument untersagt, dass dieses die Eingliederung in die Gesellschaft und die Resozialisierung erschwert, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Donnerstag, 7. Juli 2022, veröffentlichten Beschluss (Az.: 2 BvR 784/21). Selbst wenn es konkrete Anhaltspunkte für negative Auswirkungen beim Gefangenen wegen des Interviews gebe, müssten diese aber mit der Intensität des Eingriffs in die Meinungsfreiheit abgewogen werden.
Im konkreten Fall wollte ein Journalist des Radiosenders WDR 5 für ein Feature zum Thema „Alternativen zur Strafhaft“ mit einem konkreten Gefangenen ein Interview führen. Der Häftling, der jegliche Behandlungen seiner psychischen Störung in der JVA ablehnte, hatte gegen das Presseinterview keine Einwände, die Gefängnisleitung aber schon.
Die Gefängnisleitung hatte zunächst die zuständige Psychologin angehört. Diese fürchtete schädliche Auswirkungen auf den Gefangenen und seine Resozialisierung und Eingliederung in die Gesellschaft. Denn das Presseinterview könne den Gefangenen in seiner narzisstischen und dissozialen Persönlichkeit bestärken.
Das Landgericht Arnsberg billigte das Verbot des Presseinterviews. Allein das Gespräch mit dem Journalisten behindere die Eingliederung des Gefangenen. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm bestätigte diese Entscheidung.
Mit dem Verbot des Presseinterviews wurde der Häftling jedoch in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt, stellte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 16. Juni 2022 fest. Das Landgericht muss nun neu über den Fall entscheiden.
Es könne „nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein Presseinterview mit einem Strafgefangenen regelmäßig dessen Eingliederung behindert“, so die Karlsruher Richter. „Vielmehr müssen konkrete, objektiv fassbare Anhaltspunkte für die Befürchtung einer Behinderung der Eingliederung des Strafgefangenen dargelegt werden“. Weder aus den Ausführungen in der psychologischen Stellungnahme noch den Ausführungen der JVA seien konkrete negative Auswirkungen ersichtlich.
Selbst wenn es Anhaltspunkte für eine erschwerte Resozialisierung gebe, müsse dies immer mit der Intensität des Eingriffs in die Meinungsfreiheit abgewogen werden, forderte das Bundesverfassungsgericht. Hier sei das Landgericht aber noch nicht einmal auf das Thema des beabsichtigten Presseinterviews näher eingegangen. Der hohe Stellenwert der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit sei letztlich nicht ausreichend beachtet worden.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock