SOZIALRECHT
Psychiatrische Begutachtung regelmäßig ohne Beteiligung Dritter
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Stuttgart (jur). Bei einer gerichtlich angeordneten psychiatrischen Untersuchung darf regelmäßig keine dritte Person anwesend und beteiligt sein. Fehlen dem Probanden ausreichende Sprachkenntnisse, ist statt eines Familienangehörigen ein vereidigter Dolmetscher hinzuziehen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am Mittwoch, 2. November 2022, veröffentlichten Urteil (Az.: L 8 R 2664/21). Andernfalls drohe eine Verfälschung des psychiatrischen Gutachtens.
Im entschiedenen Rechtsstreit hatte die ausländische Klägerin eine volle Erwerbsminderungsrente beantragt. Sie war zuletzt als Küchenhilfe beschäftigt und seit dem 17. Oktober 2014 arbeitsunfähig und arbeitslos. Seit dem 15. September 2016 bezieht sie Hartz-IV-Leistungen. Sie machte neben orthopädischen insbesondere auch psychische Gründe dafür verantwortlich, dass sie nicht mehr erwerbsfähig sei.
Das Sozialgericht Reutlingen beauftragte daraufhin einen Sachverständigen zur Erstellung eines Gutachtens. Dieser stellte unter anderem ein schmerzhaftes Wirbelsäulensyndrom, eine depressive Störung und unterschwellige Angst fest. Die Klägerin können leichte Tätigkeiten nur noch weniger als drei Stunden arbeitstäglich ausüben. Während der Anamnese und Befunderhebung fungierte die Tochter der Klägerin als Übersetzerin. Die Frau habe daher Anspruch auf eine befristete volle Erwerbsminderungsrente, so das Gericht.
Doch das LSG hob diese Entscheidung mit Urteil vom 23. September 2022 wieder auf. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente. Ein weiteres eingeholtes Gutachten hatte ergeben, dass keine mittel- bis schwergradige Depression vorliege. Die Frau habe zu ihrer Familie ein gutes Verhältnis und sei nicht sozial zurückgezogen. Auch die angeführten orthopädischen Einschränkungen könnten eine Erwerbsminderungsrente nicht begründen.
Zudem sei das vom Sozialgericht eingeholte psychiatrische Gutachten nicht verwertbar. Bei einer psychiatrischen Untersuchung und Befunderhebung dürfe keine dritte Person anwesend und beteiligt sein, da diese die Begutachtung beeinflusse. Hier sei die Tochter als Dolmetscherin hinzugezogen worden, obwohl die Sprachkenntnisse der Klägerin für die Begutachtung ausgereicht hätten. Bei bestehenden Sprachschwierigkeiten dürfe auch nicht auf Angehörige, sondern müsse auf einen vereidigten Dolmetscher zurückgegriffen werden, forderte das LSG.
Die Anwesenheit einer dritten Person während einer psychiatrischen Untersuchung sei nur in absoluten Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn der Proband auf die ständige Unterstützung einer Pflegeperson angewiesen sei.
Am 27. Oktober 2022, also nach der LSG-Entscheidung, hatte das Bundessozialgericht (BSG) geurteilt, dass bei einem gerichtlich angeordneten medizinischen Gutachten die zu begutachtende Person regelmäßig die Mitnahme einer Vertrauensperson verlangen kann (Az.: B 9 SB 1/20 R; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag). Werde allerdings „die objektive, effektive oder unverfälschte Beweiserhebung erschwert oder verhindert“, könne das Gericht, nicht aber der Gutachter, den Ausschluss der Vertrauensperson von der Begutachtung anordnen. Dies könne etwa von der Beziehung des Beteiligten zur Begleitperson abhängen oder auch bei psychischen Erkrankungen erforderlich sein.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock