ARBEITSRECHT
RBB muss ehemaliger Programmdirektorin Ruhegeld zahlen: Arbeitsgericht Berlin bestätigt vertraglichen Versorgungsanspruch
Autor: Dr. jur. Jens Usebach, LL.M. - Rechtsanwalt
zuletzt bearbeitet am:
Mit Urteil vom 25. April 2025 hat das Arbeitsgericht Berlin eine arbeitsrechtlich bedeutsame Entscheidung getroffen, die sowohl für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als auch für die Vertragsgestaltung im Führungskräftebereich erhebliche Signalwirkung entfaltet. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) wurde verpflichtet, seiner ehemaligen Programmdirektorin Claudia Nothelle weiterhin das vertraglich zugesagte Ruhegeld in Höhe von monatlich 8.437 € zu zahlen. Zudem muss der Sender die seit Dezember 2023 ausgesetzten Zahlungen rückwirkend nachentrichten. Die Klage auf Rückzahlung bereits geleisteter Ruhegeldbeträge in Höhe von rund 400.000 € für den Zeitraum 2020 bis 2023 wies das Gericht vollständig ab. Der Streitwert des Verfahrens wurde auf über eine halbe Million Euro beziffert.
Claudia Nothelle war von 2009 bis 2016 Programmdirektorin beim RBB. Ihre Tätigkeit beruhte auf einem befristeten Direktorenvertrag, wie er im öffentlich-rechtlichen Rundfunk üblich ist. Dieser enthielt eine ausdrückliche Regelung, wonach ihr nach Vertragsende bis zum Eintritt in den gesetzlichen Ruhestand ein Ruhegeld zusteht. Nach Beendigung ihrer Tätigkeit im Jahr 2019 bezog Nothelle auf Grundlage dieser Vereinbarung neben einer einmaligen Abfindung das vertraglich zugesagte monatliche Ruhegeld. Seit 2017 ist sie zusätzlich als Professorin für Fernsehjournalismus an der Hochschule Magdeburg-Stendal tätig.
Die Ruhegeldzahlungen wurden bis Ende 2023 planmäßig geleistet, ehe die neue RBB-Geschäftsleitung vor dem Hintergrund der Affäre um Ex-Intendantin Patricia Schlesinger eine umfassende Überprüfung bestehender Versorgungszusagen veranlasste. In diesem Zuge wurden die Zahlungen an Nothelle zum Jahresende 2023 eingestellt. Zudem forderte der Sender bereits geleistete Beträge in Höhe von rund 400.000 € zurück – unter Verweis auf eine angeblich mangelnde Rechtsgrundlage sowie auf eine vermeintlich sittenwidrige Gestaltung der Ruhegeldzusage.
Da eine außergerichtliche Einigung scheiterte, erhob Nothelle Klage beim Arbeitsgericht Berlin. Sie beantragte die Feststellung, dass ihr Ruhegeldanspruch weiterhin besteht, und begehrte zugleich die rückwirkende Zahlung der einbehaltenen Beträge. Das Arbeitsgericht folgte dieser Argumentation in vollem Umfang.
Zur Begründung führte das Gericht aus, dass der RBB an die vertragliche Vereinbarung gebunden sei. Der Grundsatz der Privatautonomie gelte auch für öffentlich-rechtliche Anstalten. Verträge seien grundsätzlich einzuhalten, sofern nicht gesetzliche Gründe für deren Unwirksamkeit vorlägen. Im vorliegenden Fall sei die Vereinbarung rechtlich eindeutig und wirksam zustande gekommen. Weder sei ein Wegfall der Geschäftsgrundlage gegeben noch könne der RBB sich auf eine nachträglich geänderte Bewertung der Vertragsinhalte berufen.
Auch den Einwand der Sittenwidrigkeit im Sinne von § 138 BGB wies das Gericht entschieden zurück. Zwar prüft die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung Versorgungszusagen an Führungskräfte mitunter auf ein mögliches grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Im Fall Nothelle war jedoch kein derartiges Missverhältnis festzustellen. Die Höhe des Ruhegeldes sei angesichts der Verantwortung und der langjährigen Tätigkeit in einer Führungsposition sachlich nachvollziehbar. Zudem handle es sich um eine im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbreitete Versorgungsform, wie sie auch in Tarifverträgen oder anderen Direktorenvereinbarungen üblich sei.
Ein weiterer zentraler Punkt betraf die Frage, ob Nothelles Einkünfte aus ihrer späteren Tätigkeit als Professorin auf das Ruhegeld anzurechnen seien. Auch dies verneinte das Gericht. Eine solche Anrechnung setze eine ausdrückliche vertragliche Regelung voraus, die im Vertrag zwischen dem RBB und Nothelle jedoch nicht enthalten sei. Ohne eine klare Anrechnungsbestimmung könne eine nachträgliche Kürzung der Versorgungsleistungen nicht erfolgen. Diese Sichtweise entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, das in vergleichbaren Fällen stets auf die Notwendigkeit eindeutiger Anrechnungsregelungen hingewiesen hat.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin steht im Einklang mit einer Reihe ähnlicher Urteile. So hatte etwa das Arbeitsgericht Wuppertal im Dezember 2023 ebenfalls zugunsten eines ehemaligen Geschäftsführers entschieden und eine Rückforderung von Ruhegeld mangels Anrechnungsklausel zurückgewiesen. Auch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf stellte in einem Urteil vom Oktober 2023 klar, dass Erwerbseinkommen nur dann auf eine Versorgungsleistung angerechnet werden kann, wenn dies ausdrücklich vereinbart wurde.
Für den RBB hat das Urteil erhebliche finanzielle Konsequenzen: Neben der Verpflichtung zur Wiederaufnahme der monatlichen Zahlungen in Höhe von 8.437 € muss der Sender auch die seit Dezember 2023 ausgebliebenen Beträge nachzahlen. Darüber hinaus entfaltet das Urteil über den Einzelfall hinaus Wirkung. Es betont die Bindungswirkung von Direktorenverträgen und die Notwendigkeit rechtssicherer Gestaltung betrieblicher Versorgungsregelungen. Öffentlich-rechtliche Arbeitgeber sind gut beraten, bestehende Versorgungszusagen auf ihre rechtliche Tragfähigkeit hin zu überprüfen und insbesondere klare Anrechnungsmodalitäten für Nebeneinkünfte zu vereinbaren.
Auch für Führungskräfte im öffentlich-rechtlichen Sektor bringt das Urteil Klarheit und Rechtssicherheit: Vertraglich zugesagte Ruhegeldregelungen behalten auch dann ihre Gültigkeit, wenn sich die politische oder mediale Bewertung von Vergütungssystemen im Nachhinein ändert.
Das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin im Fall Nothelle ist somit mehr als nur eine Einzelfallentscheidung. Es stärkt die Rechtsverbindlichkeit individuell ausgehandelter Versorgungsklauseln und mahnt zu einer sorgfältigen, rechtlich fundierten Vertragsgestaltung im öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sind gehalten, Versorgungszusagen künftig noch transparenter und rechtssicherer zu gestalten, um Haftungsrisiken und Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.
Rechtsanwalt & Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. jur. Jens Usebach LL.M. von der kanzlei JURA.CC bearbeitet im Schwerpunkt das Kündigungsschutzrecht im Arbeitsrecht. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht vertritt Mandanten außergerichtlich bei Aufhebungsverträgen und Abwicklungsverträgen bei der Kündigung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber. Soweit erforderlich erfolgt eine gerichtliche Vertretung bei der Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht mit dem Ziel für den Arbeitnehmer eine angemessene und möglichst hohe Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, ein sehr gutes Arbeitszeugnis für zukünftige Bewerbungen oder auch die Rücknahme der Kündigung und die Weiterbeschäftigung zu erzielen.
Mehr Informationen unter www.JURA.CC oder per Telefon: 0221-95814321