ARBEITSRECHT
Rechtsanwalt – Tipp: Arbeitsrecht - betriebsbedingte Kündigung: Bei betrieblicher Umstrukturierung neue Betriebsstruktur konkret darzustellen
Autor: Mathias Henke - Rechtsanwalt
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) - 2 AZR 770/09- hat für betriebsbedingte Kündigungen klargestellt, dass in den Fällen, in denen der Arbeitgeber behauptet, ein Arbeitsplatz sei weggefallen, weil die anfallende Arbeit fortan auf andere Arbeitnehmer verteilt werde, der Arbeitgeber konkret nachweisen muss, wie diese Arbeitsumverteilung tatsächlich von Statten gehen soll. Zweifel an der Glaubhaftigkeit gehen zu Lasten des Arbeitgebers.
I. Allgemeine Rechtslage bei betriebsbedingten Kündigungen
1. Allgemeines zum Kündigungsschutz
Soweit das Kündigungsschutzgesetz gilt, sind betriebsbedingte Kündigungen nur dann möglich, wenn dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, die einer Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters auf Dauer entgegenstehen. Kommen mehrere vergleichbare Arbeitnehmer für eine Kündigung in Betracht, muss der Arbeitgeber zur Bestimmung des zu Kündigenden eine Sozialauswahl vornehmen: Es muss derjenige gehen, der die größten Chancen am Arbeitsmarkt hat und für den die Entlassung die geringsten sozialen Folgen bedeutet.
Dringende betriebliche Erfordernisse können nun sowohl außerbetriebliche Gründe sein (bsp. Auftragsmangel, Umsatzrückgang) als auch innerbetriebliche Gründe (bsp. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstrukturierungen). In jedem Fall sind diese Gründe nur dann hinreichend, wenn sie sich konkret auf die Einsatzmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers negativ auswirken.
2. Außerbetriebliche Gründe
Bei außerbetrieblichen Gründen (Umsatzrückgang) muss der Arbeitgeber daher nachweisen, dass Umfang und Auswirkung des Umsatzrückganges konkret die Weiterbeschäftigung des einzelnen Nichtarbeitnehmers unmöglich macht. Pauschale Behauptungen zu allgemeinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten reichen hier nicht aus. Die Darlegung und der Nachweis von außerbetrieblichen Gründen ist angesichts hoher prozessual-formellen Hürden in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren vom Arbeitgeber denn auch häufig nur äußerst schwer zu erbringen.
3. Innerbetriebliche Gründe
Bei innerbetrieblichen Gründen ist die mangelnde Weiterbeschäftigungsmöglichkeit dagegen nicht in äußeren objektiven Umständen begründet -wenn auch häufig von ihnen motiviert-, sondern geht auf eine subjektive unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers zurück, bsp. auf die Entscheidung, ganze Betriebsteile stillzulegen oder sonst den Betrieb neu und anders zu strukturieren.
Seit jeher ist nun von der Rechtsprechung des BAG anerkannt, dass die unternehmerische Entscheidung selbst nicht justiziabel, d.h. nicht gerichtlich anzweifelbar ist: der Arbeitgeber als Unternehmer hat einen eigenen Entscheidungsspielraum, mit welcher Zahl an Arbeitskräften und mit welcher Betriebsstruktur und Betriebsorganisation er welche und wieviel Arbeit und Aufträge erledigen will.
II. Das Problem:
Der Arbeitgeber kann daher betriebsbedingte Kündigungen viel leichter begründen, wenn er nicht den Umweg über schwer nachweisbare außerbetriebliche Gründe wählt, sondern den Weg über innerbetriebliche Gründe einschlägt und hier insbesondere behauptet, ganze Abteilungen würden geschlossen bzw. die Arbeit des gekündigten Arbeitnehmers werde in Zukunft von anderen Arbeitnehmern miterledigt.
Das BAG ist diesem scheinbaren „Schlupfloch" schon immer wie folgt entgegengetreten:
Justiziabel und gerichtlich überprüfbar ist trotz grundsätzlicher Freiheit der unternehmerischen Entscheidung die Frage, ob die Entscheidung tatsächlich zu einem dauerhaften Wegfall des konkreten Arbeitsplatzes führt und somit einer Weiterbeschäftigung des konkreten Arbeitnehmers entgegensteht. Das BAG verlangt hierfür seit jeher die Darlegung einer Prognose im Hinblick auf die dauerhafte organisatorische Durchführbarkeit der Personalreduzierung, um offensichtlich unsachliche, unvernünftige oder willkürliche Entscheidungen ausschließen zu können.
Fraglich war und ist jedoch, wie konkret diese Prognose des Arbeitgebers sein muss, wieviel Spielraum ihm hierbei zu belassen ist und insbesondere, wie glaubhaft und nachvollziehbar die neuerliche behauptete Betriebsstruktur ist.
So auch der konkrete Fall:
Ein Hauswirtschaftsleiter hatte gegen seine betriebsbedingte Kündigung geklagt: Sein Arbeitgeber hatte die unternehmerische Entscheidung getroffen, die Stelle des Hauswirtschaftsleiters ersatzlos zu streichen. Die bisherige Arbeit des Klägers sollte fortan auf die jeweiligen Küchenhelfer in anderen Abteilungen verteilt werden. Der Kläger wandte insbesondere ein, diese Arbeitnehmer seien eh‘ schon genug ausgelastet und könnten seine Arbeit nicht zusätzlich erledigen.
III. Entscheidung des BAG:
Das BAG erklärte die Kündigung für unwirksam:
Nach Ansicht des BAG muss der Arbeitgeber bei einer unternehmerischen Entscheidung zum Abbau einer ganzen Abteilung und einer Umverteilung von Aufgaben anhand einer nachprüfbaren und konkreten Prognose angeben, wie sich seine Organisationsentscheidung auf die Einsatzmöglichkeiten der Arbeitnehmer auswirkt und insbesondere wie die nach wie vor anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal erledigt werden können. Hierbei muss der Arbeitgeber auch konkret beweisen, dass und wie das verbliebene Personal im Rahmen seiner regulären Tätigkeiten die nun zusätzliche Arbeit wahrnehmen kann. Nach Ansicht des BAG reichen hierzu lediglich pauschale Angaben nicht aus, es muss im Einzelnen nachprüfbar dargelegt werden, dass das verbliebene Personal auch tatsächlich über insoweit freie Arbeitskapazitäten überhaupt verfügt.
Dies war im vorliegenden Fall nach Ansicht der Bundesrichter nicht gegeben, da unklar geblieben war, welche Tätigkeiten genau auf welchen Arbeitnehmer übertragen werden sollten und insbesondere wie überhaupt die verbleibenden Arbeitnehmer bei bisheriger voller Auslastung nun auch noch die neu anfallende Arbeit miterledigen sollen. Hierbei hatte das BAG insbesondere berücksichtigt, dass die verbleibenden Arbeitnehmer bereits in der Vergangenheit durchweg Überstunden geleistet hatten und auch der Kläger selbst dauerhaft Soll-Stunden angehäuft hatte.
Das BAG gelangte daher zu der Überzeugung, dass die verbleibenden Arbeitnehmer über keine freie Arbeitszeitkapazität verfügten. Die Darlegung des Arbeitgebers hinsichtlich des Wegfalls des Arbeitsplatzes wurde daher als unglaubhaft und unschlüssig bewertet, so dass im Ergebnis der Wegfall des Arbeitsplatzes nicht festgestellt werden konnte.
V. Bewertung:
Die Entscheidung des BAG überrascht nicht, reiht sie sich doch ein in die seit langem kontinuierliche Rechtsprechung zur Überprüfbarkeit von unternehmerischen Entscheidungen bei Betriebsstilllegungen, teilweisen Stilllegung und Auflösung von Abteilungen im Rahmen von betrieblichen Neustrukturierungen (vgl. BAG NZA 2001,535; BAG NZA 99,1095; BAG NZA 99,1157; BAG NZA 98,933). Trotz grundsätzlich fehlender Justiziabilität von unternehmerischen Entscheidungen sind diese doch auf eventuelle Willkürlichkeit und Unsachlichkeit zu überprüfen; insbesondere ist gerichtlich nachprüfbar, ob die behauptete unternehmerische Entscheidung tatsächlich einen Wegfall des Arbeitsplatzes zur Folge hat oder aber die angebliche Umstrukturierung des Betriebes nur ein lediglicher Vorwand ist, Kündigungen auszusprechen.
VI. Fazit:
Eine in der Grundtendenz absolut zutreffende und wohl auch im Einzelfall richtige Entscheidung: auch wenn die Entscheidung eines Unternehmers, wie er seinen Betrieb führt, ihm alleine überlassen ist, kann eine Kündigung nur dann von der Rechtsordnung akzeptiert werden, wenn auch tatsächlich das Bedürfnis für die Beschäftigung eines Mitarbeiters weggefallen ist. Die Freiheit von Unternehmerentscheidungen darf nicht bedeuten, dass behauptete Umstrukturierungen einfach ohne jegliche Überprüfung hingenommen werden müssen.
Arbeitgeber sind daher gut beraten, Umstrukturierungen des Betriebes nicht allzu leichtfertig als willkommenen Anlass oder Grund für Kündigungen auszugeben oder zu benutzen, sondern vor Ausspruch von Kündigungen wirklich im Detail zu überlegen, ob die vorgegebene Neustrukturierung einer Überprüfung im Hinblick auf Sinn und Zweck und insbesondere Plausibilität standhält.
Rechtsanwalt Mathias Henke, Dortmund