FAMILIENRECHT
Rückführung eines Kindes nach Kindesentziehung gestoppt
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Karlsruhe (jur). Hat ein in Spanien lebender Vater vor einem spanischen Gericht die Rückführung seines von der Mutter nach Deutschland entführten Sohnes erstritten, kann das Kindeswohl dem dennoch entgegenstehen. Dies gilt dann, wenn das Kind den Vater gar nicht kennt und über keinerlei Spanischkenntnisse verfügt und zudem das spanische Gericht den mittlerweile fast neun Jahre alten Sohn nicht angehört hat, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Donnerstag, 4. August 2022, veröffentlichten Beschluss (Az.: 1 BvQ 50/22). Die Karlsruher Richter gaben damit dem Antrag der Mutter auf einstweilige Anordnung statt.
Konkret ging es um ein im August 2013 in Madrid geborenen Jungen. Die nicht verheirateten Eltern trennten sich bereits im März 2014. Noch im selben Monat reiste die Mutter ohne Zustimmung des Vaters nach Deutschland aus. Der Vater erstritt vor einem spanischen Gericht die Personensorge für seinen Sohn sowie das Recht zur Bestimmung des Wohnortes. Der Aufenthaltsort der Mutter war damals noch unbekannt.
Vor einem deutschen Familiengericht verlangte der Vater 2016 die Rückführung des Kindes. Er verwies auf das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ). Das Familiengericht und das Oberlandesgericht (OLG) lehnten dies wegen einer verpassten Frist ab. Außerdem habe sich das Kind in seiner neuen Umgebung eingelebt.
Der Vater suchte daraufhin später erneut Schützenhilfe von einem spanischen Gericht. Das in Madrid angerufene Gericht ordnete mit Beschluss vom 23. September 2021 die Herausgabe des Kindes an und stellte hierfür eine nach EU-Recht vorgesehene Bescheinigung über die Vollstreckung der Maßnahme in Deutschland aus. Das Kind wurde zur beabsichtigten Rückführung nach Spanien nicht angehört.
Daraufhin verpflichteten das Familiengericht Bamberg und das Oberlandesgericht die Mutter, den Sohn herauszugeben. Eine inhaltliche Prüfung der Vollstreckung der spanischen Entscheidung sei wegen der ausgestellten Vollstreckungsbescheinigung nicht möglich, so die deutschen Gerichte. Einwände seien vielmehr vor spanischen Gerichten geltend zu machen.
Das Bundesverfassungsgericht stoppte vorläufig die Rückführung des Kindes. Die Verfassungsrichter verwiesen die Mutter aber auf eine noch einzulegende Verfassungsbeschwerde. Die endgültige Entscheidung würde dann erst im Hauptverfahren ergehen.
Die Annahme, dass die deutschen Gerichte die verlangte Rückkehr des Kindes nicht inhaltlich prüfen dürfen, sei hier fehlerhaft. Ob die Rückführung des mittlerweile fast neun Jahre alten Kindes zulässig ist, sei offen, heißt es in dem Beschluss vom 1. August 2022. Bei noch offenem Ausgang des Verfahrens seien bei einer sofortigen Rückführung zum Vater die nachteiligen Folgen für das Kind jedoch größer als die Beeinträchtigung des Vaters in seinem Elternrecht bei einer möglichen späteren Rückführung.
Hier könnten Kindeswohlgründe der Rückkehr nach Spanien entgegenstehen. Denn der Sohn lebe seit 2014 in Deutschland, der Vater sei für ihn eine fremde Person. Das Kind spreche keinerlei Spanisch. Dies erschwere nicht nur den Schulbesuch in Spanien, sondern auch die Erschließung eines sozialen Umfelds. Der Vater spreche zudem kaum Deutsch. Die Rückführung nach Spanien könne zu einer schweren Traumatisierung des Kindes führen.
Das spanische Gericht habe das Kind auch zu keinem Zeitpunkt angehört. Es sei zweifelhaft, ob das Gericht „die Belastung des Kindes angemessen erfassen konnte“.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock