STAATSHAFTUNGSRECHT
Schadensersatz der Stadt wegen Verletzung der Streupflicht
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In zwei jetzt bekannt gewordenen Urteilen hat das Oberlandesgericht Hamm zwei Städte aus dem Ruhrgebiet zum Schadensersatz wegen der Verletzung ihrer Streupflicht verurteilt.
1.
In einem Fall stürzte eine Frau im Dezember 1998 gegen 9.30 Uhr auf einer mit Pulverschnee bedeckten und glatten sowie etwas abschüssigen Straße zwischen einer Verkehrsinsel und dem gegenüberliegenden Bürgersteig. Der Schnee war seit 6.00 Uhr früh gefallen. Die Fahrbahn war zur Unfallzeit nicht abgestreut. Die Frau zog sich einen komplizierten Beinbruch zu. Den Winterdienst hatte die Stadt im Unfallbereich einem beauftragten Privatunternehmer übertragen. Das Oberlandesgericht hat der Frau ein Schmerzensgeld von rund 16.000,00 DM zugesprochen (Urteil vom 13.09.2002, Az.: 9 U 49/02 OLG Hamm) und damit eine Entscheidung des Landgerichts Essen bestätigt.
Zur Amtshaftung der Gemeinde hat das Oberlandesgericht ausgeführt:
In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass nicht nur die besonders gekennzeichneten Fußgängerüberwege, sondern auch solche Straßenübergänge streupflichtig seien, auf denen lebhafter Fußgängerverkehr - wie im vorliegenden Fall - herrsche. Winterdienstmaßnahmen müssten morgens so rechtzeitig begonnen werden, dass glatte und streupflichtige Verkehrsflächen zu Beginn des Hauptberufsverkehrs, d.h. an Werktagen in der Regel spätestens um 7.00 Uhr abgestreut seien. Trete die Glätte im Laufe des Tages ein, müsse dem Streupflichtigen ein angemessener Zeitraum zugebilligt werden, um die erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Glätte zu treffen. Da der deutsche Wetterdienst im Laufe der Nacht und am Morgen gegen 8.00 Uhr im Vormittagsverlauf das Einsetzen eines stärkeren Schneefalles vorhergesagt habe und seit den frühen Morgenstunden eine größere Anzahl von Einzeleinsätzen durchgeführt worden sei, sei die Stadt verpflichtet gewesen, bereits am Morgen auch im Unfallbereich Kontrollfahrten durchzuführen. Dabei hätte sie die akute Streubedürftigkeit des Unfallortes feststellen können. Darüber hinaus habe die Stadt nicht bewiesen, dass sie im Rahmen der Räum- und Streupflicht eine Organisation geschaffen habe, die die sichere Erfüllung der ihr obliegenden Winterdienstmaßnahmen gewährleistet habe. Dazu gehöre nicht nur die Aufstellung eines Streuplanes, in dem die zu sichernden Verkehrsflächen nach der Dringlichkeit ihrer Sicherung aufgeführt seien, sondern auch die Einrichtung eines Warnsystems, durch das entstandene Glättebereiche rechtzeitig bekannt würden. Die Verantwortlichkeit der Stadt für das Fehlen von Streumaßnahmen an der Unfallstelle entfalle auch nicht deshalb, weil sie sich zur Durchführung des Winterdienstes für den Gehbereich eines privaten Unternehmens bedient habe. Die Beklagte sei hierdurch von ihrer gegenüber den Verkehrsteilnehmern bestehenden Verpflichtung nicht frei geworden, sondern habe auch insoweit eine geeignete Organisation zur zuverlässigen Durchführung des Winterdienstes schaffen und ihre Beachtung überwachen müssen. Dafür habe die Stadt in dem Rechtsstreit nichts Konkretes vorgetragen.
2.
In einem weiteren Fall haftet eine andere Gemeinde aus dem Ruhrgebiet einer Fußgängerin dem Grunde nach auf Schadensersatz, weil die Gemeinde einen Gehweg nicht rechtzeitig abgestreut und geräumt hat. Im November 1999 stürzte eine Fußgängerin gegen 8.30 Uhr infolge Schneeglätte auf einem zu diesem Zeitpunkt nicht abgestreuten Bürgersteig vor einem Grundstück, das im Eigentum der Gemeinde stand. Dabei brach sie sich den rechten Fußknöchel. Die Gemeinde haftet nach dem Urteil des Oberlandesgerichts aus privatrechtlichen Gesichtspunkten: Zwar sei die Beklagte für die Winterwartung auf dem Bürgersteig nicht nach der polizeilichen Reinigungsvorschrift des § 1 Abs. 2 Straßenreinigungsgesetz Nordrhein-Westfalen hoheitlich zuständig, da sie für die Gehwege durch ihre Reinigungssatzung den Reinigungs- und Winterdienst rechtswirksam auf die Anlieger übertragen habe. Sie sei jedoch als Eigentümerin des an die Unfallstelle angrenzenden Grundstücks selbst Anliegerin in dem vorbezeichneten Sinne gewesen und daher im Bereich des Gehweges für die Durchführung von Streu- und Räummaßnahmen privatrechtlich verantwortlich. Die für den Winterdienst auf den Fahrbahnen zuständigen Bediensteten der Stadt hätten bereits kurz nach 6.30 Uhr mit Streueinsätzen begonnen. Die Fahrbahn im Unfallbereich sei bis 8.00 Uhr abgestreut gewesen. In Anbetracht dessen wäre es auch den für den Winterdienst auf den städtischen Grundstücken und den angrenzenden Gehwegen verantwortlichen Bediensteten der Stadt möglich gewesen, am Morgen des Unfalltages den Bürgersteig an der Unfallstelle abzustreuen. Die Stadt habe nicht dargetan, weshalb an ihre Winterdienstverpflichtung als Anliegerin geringere Anforderungen als an die Streupflicht für Fahrbahnen gestellt werden sollten. Aus diesem Grund habe die Stadt durch das Unterlassen einer Glättesicherung des Unfallbereiches vor 8.30 Uhr die ihr obliegende Streupflicht verletzt. Dagegen könne nicht eingewandt werden, ein rechtzeitiges Abstreuen des Unfallbereiches sei wegen des am Unfalltag bis 8.30 Uhr herrschenden Schneefalles unzumutbar gewesen. Streumaßnahmen seien ausnahmsweise während eines Zeitraumes nicht geboten, in dem sie wegen außergewöhnlicher Witterungsverhältnisse sinn- und zwecklos seien. Ein solcher Fall sei jedoch nur dann gegeben, wenn das aufgebrachte Streugut binnen kurzer Zeit wirkungslos würde. Dies habe die Stadt nicht dargelegt.
Zur Feststellung der genauen Schadenshöhe ist der Rechtsstreit an das zuständige Landgericht zurückverwiesen worden.
(Urteil vom 08.10.2002, Az.: 9 U 47/02).