EU-RECHT
Sea Watch muss Flüchtlinge in Seenot retten können
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Luxemburg (jur). Die Schiffe der deutschen Seenotrettungsorganisation „Sea Watch“ dürfen nicht allein wegen einer hohen Zahl an geretteten Flüchtlingen im Hafen behördlich kontrolliert werden. Kontrollen vom Hafenstaat oder gar das Festhalten von Schiffen sind „nur im Fall einer eindeutigen Gefahr für die Sicherheit, die Gesundheit oder die Umwelt“ erlaubt, urteilte am Montag, 1. August 2022, der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg (Az.: C-14/21 und C-15/21). Für Kontrollen müsse es also konkrete Gründe geben.
Um Flüchtlinge auf ihrer Flucht über das Mittelmeer vor dem drohenden Ertrinken zu retten, hatte die in Berlin ansässige Hilfsorganisation zwei Schiffe entsandt. Die unter deutscher Flagge fahrenden und als Frachtschiffe zertifizierten Schiffe, die „Sea Watch 3“ und die „Sea Watch 4“, führten im Sommer 2020 systematisch Rettungseinsätze durch.
Die Schiffe patrouillierten dabei etwa vor Libyens Küste außerhalb der 24-Seemeilen-Zone und hielten nach in Seenot geratenen Flüchtlingen Ausschau. Die Flüchtlinge begeben sich meist mit völlig überfüllten und seeuntüchtigen Schlauchbooten auf die Fahrt über das Mittelmeer.
Als die Sea Watch-Schiffe gerettete Flüchtlinge in die italienischen Häfen von Palermo und Empedocle brachten, wurden sie von den Hafenbehörden kontrolliert und über Monate festgesetzt. Die Schiffe seien nicht für den Transport mehrerer Hundert Menschen zertifiziert. Die italienischen Hafenbehörden meinten, dass Mängel an den Schiffen eine Gefahr für die Sicherheit, die Gesundheit oder die Umwelt darstellten. Es fehlten etwa ausreichende Sicherheitsausrüstungen an Bord.
Sea Watch berief sich auf das Völkerrecht. Die Schiffe seien verpflichtet, in Seenot geratene Personen aufzunehmen. Italien habe die unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe nicht kontrollieren geschweige denn monatelang festsetzen dürfen.
Das Regionale Verwaltungsgericht Sizilien legte das Verfahren dem EuGH vor. Die Luxemburger Richter sollten klären, welche Kontroll- und Festhaltebefugnisse der Hafenstaat in Bezug auf die Schiffe habe.
Die Große Kammer des EuGH urteilte, dass Hafenstaaten nur beim Vorliegen konkreter Gründe Kontrollen durchführen könnten. Hierfür müssten „belastbare Anhaltspunkte für eine Gefahr für die Gesundheit, die Sicherheit, die Arbeitsbedingungen an Bord oder die Umwelt“ bestehen. Kontrollen seien zudem erst zulässig, wenn die aufgenommenen Personen die Schiffe verlassen haben. Allein eine hohe Zahl an Menschen auf einem Schiff sei noch kein Grund für Kontrollen.
Der EuGH erinnerte Italien daran, dass nach dem Völkerrecht ein Schiff verpflichtet sei, in Seenot geratene Menschen aufzunehmen. Nur weil eine Seenotrettungsorganisation systematisch nach in Not geratenen Menschen Ausschau halte, gehe die Bindung des Völkerrechts nicht verloren. Bei festgestellten Mängeln dürfe der Hafenstaat allerdings „erforderliche und angemessene“ Abhilfemaßnahmen verlangen.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock