STRAFRECHT
Ständige Haftverlegung kann menschenrechtswidrig sein
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Straßburg (jur). Strafgefangene dürfen nicht ständig in ein anderes Gefängnis verlegt werden. Zumindest wenn dies erkennbar zu einer psychischen Erkrankung führt, bedeuten die Verlegungen eine erniedrigende und menschenrechtswidrige Behandlung, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg am Dienstag, 17. November 2015, gegen Belgien entschied (Az.: 47687/13).
Der heute 48-jährige Beschwerdeführer ist Franzose, er lebt aber in Belgien. Zwischen 1984 und 2008 wurde er dort wegen verschiedenster Straftaten verurteilt, darunter Mord, Raub und Geiselnahme. Entsprechend verbrachte er viele Jahre im Gefängnis.
2007 diagnostizierte ein Psychiater das „Ganser-Syndrom“. Dies ist eine psychische Störung, bei der die Patienten auch auf einfachste Fragen stets falsche Antworten geben. Die Störung ist nur schwer von einer simulierten Krankheit abzugrenzen. Sie wird auch als „Gefängnissyndrom“ bezeichnet oder auf ein solches zurückgeführt.
In knapp neun Jahren von Januar 2006 bis November 2014 wurde der Beschwerdeführer 40 Mal von einem in ein anderes Gefängnis verlegt. Auf gewalttätiges Verhalten reagierten die Justizvollzugsanstalten zudem immer wieder mit erschwerten Haftbedingungen, etwa Einzelhaft, das Tragen von Handschellen außerhalb der Zelle oder systematische Durchsuchungen.
Mehrfach reichte der Häftling Beschwerden ein oder klagte. Gerichte und Behörden lehnten aber eine Verbesserung der Haftbedingungen ebenso ab wie eine psychische Behandlung.
Vor dem EGMR bekam der Häftling nun dagegen recht. Angesichts seines labilen psychischen Zustands sei Umgang mit ihm insgesamt als erniedrigend anzusehen und habe daher gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen.
Zudem rügten die Straßburger Richter, dass die Behörden sämtliche Beschwerden abgewiesen und trotz der sich verschlimmernden psychischen Störung nie über eine psychische Betreuung oder Behandlung nachgedacht haben. Der EGMR forderte Belgien daher auf, bessere Regelungen für den Umgang mit Beschwerden etwa gegen eine Verlegung zu schaffen.
Dem Beschwerdeführer sprachen die Straßburger Richter eine Entschädigung von 12.000 Euro sowie weitere 30.000 Euro für seine Verfahrenskosten zu.
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