VERWALTUNGSRECHT
Türkische Analphabetin muss nicht zum Integrationskurs
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Mannheim (jur). Ausländerbehörden dürfen die Forderung nach Integration von legal in Deutschland lebenden Ausländern nicht überspannen. So ist einer 62-jährigen, seit vielen Jahren in Deutschland lebenden türkische Analphabetin die Teilnahme an einem Integrationskurs nicht zuzumuten, entschied der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg in Mannheim in einem am Freitag, 16. August 2013, bekanntgegebenen Urteil (Az.: 11 S 208/13).
Damit kann eine 62-jährige türkische Analphabetin nicht zur Teilnahme an einen Integrationskurs mit Alphabetisierung gezwungen werden. Die Kurse haben meist einen Umfang von 1.200 Stunden (á 45 Minuten). Im konkreten Fall hatte das Landratsamt Karlsruhe die türkische Klägerin zur Teilnahme an den Integrationskurs verpflichtet. Sie sei wegen ihrer Sprachschwäche nachhaltig daran gehindert, „sich in Gesellschaft und Erwerbsleben zu integrieren“.
Die Frau lebt seit 1981 in Deutschland und betreibt zusammen mit ihrem Mann einen Lebensmittelladen. Das Paar hat sechs Kinder, die mittlerweile alle deutsche Staatsangehörige geworden sind. Ein Sohn studiert Wirtschaftsinformatik, die fünf Töchter haben eine Ausbildung absolviert oder sind Hausfrau.
Der VGH hob nun in seinem Urteil vom 12. Juni 2013 die Entscheidung des Landratsamtes auf. Nach dem Aufenthaltsgesetz sei ein Ausländer zur Teilnahme an einen Integrationskurs verpflichtet, wenn er in besonderer Weise integrationsbedürftig sei und die Behörde zur Teilnahme auffordere.
Hier sei die Klägerin jedoch nicht „in besonderer Weise integrationsbedürftig“. Für Ausländer, die bereits vor dem 1. Januar 2005 legal in Deutschland leben, sei dies nur der Fall, „wenn die Lebensführung des Ausländers dem öffentlichen Interesse an der Integration in die deutschen Lebensverhältnisse“ widerspreche.
Die Klägerin habe nie Sozialhilfeleistungen erhalten und ihren Lebensunterhalt stets selbst gesichert. Eine darüber hinausgehende Integration in den Arbeitsmarkt scheide auch wegen ihres Alters und ihrer Krankheitsgeschichte aus. Auch die Integration der Kinder sei erfolgreich abgeschlossen.
Insgesamt sei die Teilnahme an dem Integrationskurs der Frau daher nicht zumutbar, urteilte der VGH. Dass sie beschlossen habe, mit ihrer Familie türkisch zu sprechen und sie sich vorwiegend im großen Kreis ihrer Familie und türkisch sprechenden Nachbarn bewegt, sei ihre „ureigene Entscheidung“ und „mit den öffentlichen Interessen vereinbar“.
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