ARBEITSRECHT
Verletzung bei Hüpfburg-Sprung ist Arbeitsunfall
Autor: Dipl.-Jur. Jens Usebach, LL.M. - Rechtsanwalt
Das Bundessozialgericht hat am 06.10.2020 zum Aktenzeichen B 2 U 13/19 R entschieden, dass ein verletzender Sprung auf einer Hüpfburg im Rahmen eines FSJ in einer Bildungs- und Ferienstätte ein Arbeitsunfall darstellt.
Aus dem Terminbericht des BSG Nr. 37/20 vom 06.10.2020 ergibt sich:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin während eines Seminaraufenthalts im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahrs (FSJ) in einer Bildungs- und Ferienstätte einen Arbeitsunfall erlitten hat, als sie sich beim Spielen auf einem Hüpfkissen verletzte. Die im November 1998 geborene Klägerin begann nach Abschluss der Realschule ein FSJ, in dem sie in einem Alten- und Pflegeheim eingesetzt wurde. Die FSJ-Vereinbarung sah u.a. die Teilnahme an einem einwöchigen Einführungsseminar vor, das im September 2015 in einer ländlich abgeschiedenen Bildungs- und Ferienstätte stattfand. Täglich in der Zeit von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr wurden Seminare durchgeführt, die anschließende Freizeit stand den Seminarteilnehmern zur freien Verfügung. Am Abend wurden von einzelnen Betreuern auf freiwilliger Basis Freizeitaktivitäten (z.B. Lagerfeuer, Spiele …) angeboten. Für das Verlassen des Geländes mussten sich die Teilnehmer in Gruppen von mindestens drei Personen zusammenschließen und bis 22.00 Uhr zurückkehren. Am 08.09.2015 war die damals 16-jährige Klägerin gegen 20.00 Uhr mit weiteren Seminarteilnehmern auf dem Weg zu einem Karten- bzw Rollenspiel. Dabei entdeckte die Gruppe auf dem Gelände des Freizeitheims ein Hüpfkissen in einer Größe von 11,2 x 9 m und begann darauf zu hüpfen. Die Gruppe beschloss, dass sich die Klägerin in die eine Hälfte des Hüpfkissen setzen sollte. Auf die andere Hälfte sollten dann acht weitere Seminarteilnehmer gleichzeitig springen, um die Klägerin in die Luft zu katapultieren. Die Klägerin flog zunächst – wie von der Gruppe beabsichtigt – in die Luft, landete dann aber auf der aus einem Sand-Kies-Gemisch bestehenden Umrandung. Hierdurch erlitt die Klägerin Deckplattenbrüche verschiedener Wirbelkörper und eine Impressionsfraktur des ersten Lendenwirbelkörpers. Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Vorfalls als Arbeitsunfall ab.
Das Sozialgericht hat festgestellt, dass das Ereignis ein Arbeitsunfall gewesen sei. Die Grundsätze des Versicherungsschutzes bei Schulausflügen und Klassenfahrten, die auf den natürlichen Spieltrieb und das typische Gruppenverhalten von Kindern und Jugendlichen abstellten, seien hier anwendbar. Das Landessozialgericht hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die zum Unfall führende Verrichtung auf dem Hüpfkissen habe in keinem sachlichen Zusammenhang mit der nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Beschäftigung gestanden. Die Gruppenaktivität nach Beendigung der verpflichtenden Seminarveranstaltungen sei eine rein private Freizeitgestaltung und nicht Teil der in der Einrichtung angebotenen freiwilligen Abendaktivitäten gewesen. Auch war das FSJ rechtlich nicht so ausgestaltet, dass auch Freizeitaktivitäten zu den verpflichtenden Seminarinhalten gehört hätten.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 8 Abs. 1 SGB VII. Bei der Teilnahme an Seminaren im Rahmen des FSJ müsse ein umfassender Versicherungsschutz gewährleistet werden.
Die Revision der Klägerin war erfolgreich. Das Urteil des Landessozialgerichts war aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das zusprechende Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.
Nach Auffassung des BSG erlitt die Klägerin auf dem Hüpfkissen in der Bildungsstätte einen versicherten Arbeitsunfall i.S.d. § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Die Klägerin sei zunächst als Teilnehmerin an einem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) Beschäftigte i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII gewesen. Die unfallbringende Verrichtung, bei der sich die Klägerin verletzte – das Springen auf dem Hüpfkissen –, habe auch noch in einem inneren Zusammenhang mit dieser grundsätzlich versicherten Tätigkeit gestanden. Zwar sei diese Verrichtung keine Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis gewesen und habe von der Klägerin auch nicht als solche verstanden werden können. Der Träger des FSJ habe jedoch eine erhöhte spezifische Gefahr für die ungehemmte Entfaltung jugendlicher leichtsinniger Spielereien und gruppendynamischer Prozesse einschließlich des damit verbundenen Verletzungspotenzials durch Abhaltung eines einwöchigen Seminars für Jugendliche an einem fremden, abgelegenen Ort mit einem unfallträchtigen Sportgerät ohne entsprechende Aufsicht geschaffen.
Für den Versicherungsschutz jugendlicher Arbeitnehmer bei durch spielerisches Verhalten auf der Betriebsstätte verursachten Unfällen gelten schon nach bisheriger Rechtsprechung besondere Maßstäbe. Hierbei se jeweils die besondere Situation am Arbeitsplatz und der Spieltrieb Jugendlicher zu berücksichtigen. Ein sachlicher Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit wurde bejaht, wenn der Jugendliche durch die Gestaltung der Betriebsverhältnisse in die Lage versetzt wurde, sich durch leichtsinnige Spielereien und gruppendynamische Prozesse besonderen Gefahren auszusetzen. Hiervon ausgehend könne bei Jugendlichen auf Geschäfts- bzw Seminarreisen eine auf dem altersbedingten unbändigen Spieltrieb und gruppentypischen Verhalten beruhende Handlung, die zu einem Unfall führe, eine im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII stehende Tätigkeit darstellen, insbesondere wenn die jugendlichen Arbeitnehmer durch die Umstände der Seminarreise in die Lage versetzt wurden, sich besonderen Gefahren auszusetzen. Damit sei die Benutzung des Hüpfkissens hier noch als versicherte Tätigkeit anzusehen. Das Seminar wurde in einer für die Klägerin und die weiteren Teilnehmer fremden und abgelegenen Umgebung abgehalten. Den Seminarteilnehmern standen für ihre Freizeitgestaltung im Wesentlichen nur die von den Betreuern durchgeführten Aktivitäten sowie die Angebote der Einrichtung zur Verfügung. Zwar sei zum Unfallzeitpunkt die offizielle Seminarzeit beendet gewesen, jedoch wurde nach den Feststellungen des Landessozialgerichts an diesem Abend ein weiterer Programmpunkt angeboten, zu dem die Klägerin zusammen mit anderen Seminarteilnehmern unterwegs war, als die Gruppe das Hüpfkissen entdeckte und die Gelegenheit zum Spielen darauf nutzte. Das Hüpfkissen als Sportgerät birge schon aufgrund seiner Beschaffenheit erhebliche Verletzungsgefahren in sich.
Nach den bindenden Feststellungen des Landessozialgericht erfolgte der unfallbringende Katapultsprung sodann aufgrund altersbedingter Gegebenheiten wie Übermut, Spieltrieb, Gruppendynamik und Fehleinschätzung der Gefahrenlage. Dem stehe nicht entgegen, dass die Klägerin zum Unfallzeitpunkt bereits fast 17 Jahre alt war. Zwar dürfte der Spieltrieb mit fortschreitendem Alter abnehmen, doch könne dieser gerade in Gruppen Gleichaltriger wieder aufleben und durch gruppendynamische Prozesse, wie sich gegenseitig „anfeuern“ oder „hochschaukeln“, verstärkt werden. Gerade in solchen Situationen bestehe die Gefahr, dass Jugendliche von übermütigen Ideen mitgerissen werden und sich unter dem Eindruck der Gruppendynamik erheblichen Gefahren für die körperliche Unversehrtheit aussetzen. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der Zusammenstellung der Seminargruppe, die für das Einführungsseminar zur Ableistung des FSJ in der Regel aus Jugendlichen bestehe, die sich untereinander nicht kennen, aber für die gemeinsame Freizeitgestaltung während der Seminarreise in einem abgelegenen Gebiet aufeinander angewiesen seien.