AUSLäNDERRECHT
Zu den Pflichten des Bundesbeauftragten im Asylverfahren
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Die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat ein Urteil des
Verwaltungsgerichts (VG) Chemnitz wegen Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör in einem Asylverfahren aufgehoben.
1. Die Beschwerdeführer (Bf), ein Ehepaar türkischer Staats- und
kurdischer Volkszugehörigkeit, beantragten 1994 politisches Asyl. Mit
Bescheid vom 12. Dezember 1994 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) die Asylanträge ab, stellte
jedoch Abschiebungshindernisse nach §§ 51 Abs. 1 und 53 Abs. 4 AuslG
fest. Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene
Bescheid wurde dem Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten
(Bundesbeauftragter) ausweislich eines Vermerks in den Behördenakten am
14. Dezember 1994 "formlos zugeleitet". Die Bf erhoben Klage auf
Anerkennung als Asylberechtigte beim VG Chemnitz; das Gericht
übersandte die Klageschrift dem Bundesbeauftragten mit Schreiben vom
30. Dezember 1994. Am 21. Dezember 1995 wurde der Bescheid vom 12.
Dezember 1994 dem Bundesbeauftragten gegen Empfangsbekenntnis
zugestellt. Daraufhin erhob der Bundesbeauftragte am 29. Dezember 1995
Klage gegen die Feststellung der Abschiebungshindernisse. Er habe
erstmals am 21. Dezember 1995 von der Entscheidung des Bundesamtes
Kenntnis erhalten.
Mit Schriftsatz vom 16. September 1996 wiesen die Bf darauf hin, der
Bundesbeauftragte habe bereits durch die formlose Zuleitung des
Bescheides am 14. Dezember 1994 von der Feststellung der
Abschiebungshindernisse Kenntnis erlangt und deshalb sein Klagerecht
verwirkt. In einem Schriftsatz vom 28. Februar 1997 trugen sie zur
Sache weiter vor. Keiner dieser beiden Schriftsätze befindet sich in
den vom BVerfG beigezogenen Gerichtsakten des VG.
Mit Urteil vom 3. März 1997 hob das VG Chemnitz auf die Klage des
Bundesbeauftragten die Feststellung der Abschiebungshindernisse auf.
Der Bundesbeauftragte habe sein Klagerecht nicht verwirkt. Zum
Zeitpunkt seiner Klageerhebung sei die für eine Verwirkung zu Grunde zu
legende Frist von mindestens einem Jahr noch nicht abgelaufen gewesen,
da der Bundesbeauftragte frühestens mit dem gerichtlichen
Mitteilungsschreiben vom 30. Dezember 1994 Kenntnis von dem ergangenen
Bescheid erhalten habe. Die Klage sei auch begründet.
Das Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) lehnte den Antrag der Bf
auf Zulassung der Berufung ab; eine Versagung rechtlichen Gehörs liege
nicht vor.
2. Im Vb-Verfahren hat der Bundesbeauftragte ausgeführt: Selbst wenn
ihm der Bescheid des Bundesamtes im Dezember 1994 zugegangen sei, könne
nicht davon ausgegangen werden, dass er damit auch Kenntnis von seinem
Inhalt erlangt habe. Üblicherweise würden Bescheide des Bundesamtes,
die einen Asylanspruch oder das Vorliegen der Voraussetzungen der §§
51, 53 AuslG bejahten, dem Bundesbeauftragten förmlich zugestellt. Dies
diene der verlässlichen Fristenberechnung und führe dazu, dass er
leicht erkennen könne, dass es sich hier um eine Entscheidung handele,
die möglicherweise sein Tätigwerden erforderlich mache. Ablehnende
Bundesamtsbescheide würden ihm hingegen formlos übersandt; eine
Überprüfung erfolge hier nur bei Hinzutreten besonderer Umstände. Sei
ihm der Bescheid des Bundesamtes im Dezember 1994 formlos übersandt
worden, so habe keine Veranlassung bestanden, seinen Inhalt zur
Kenntnis zu nehmen. Entsprechendes gelte für die Übersendung der
Klageschrift. Dem Bundesbeauftragten sei es schon im Hinblick auf seine
personelle Ausstattung nicht möglich, von den oftmals sehr
umfangreichen Klageschriften näher Kenntnis zu nehmen.
Das Bundesamt hat ebenfalls Stellung genommen und die vom
Bundesbeauftragten geschilderte Praxis bestätigt. Wie es im
vorliegenden Fall zu der von dieser Praxis abweichenden formlosen
Zuleitung gekommen sei, sei nicht mehr feststellbar.
3. Die Kammer hat das Urteil des VG Chemnitz wegen Verletzung des
Anspruchs der Bf auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1
GG aufgehoben. Zur Begründung stellt sie fest, dass das VG Chemnitz
erhebliches Vorbringen der Bf bei seiner Entscheidungsfindung nicht
berücksichtigt hat. Die Bf haben mit Schriftsatz vom 16. September 1996
ausdrücklich auf die formlose Zuleitung des Bundeamtsbescheides an den
Bundesbeauftragen am 14. Dezember 1994 hingewiesen. Das VG hat zwar
diese Zuleitung des Bescheides am 14. Dezember 1994 im Tatbestand
seines Urteils erwähnt, in den Entscheidungsgründen jedoch ausgeführt,
der Bundesbeauftragte habe "frühestens" mit dem gerichtlichen
Mitteilungsschreiben vom 30. Dezember 1994 Kenntnis von dem ergangenen
Bescheid erhalten. Dies widerspricht bereits den Feststellungen im
Tatbestand und lässt den Vortrag der Bf vom 16. September 1996 außer
Acht. Zudem ist eine Abschrift des besagten Schriftsatzes zwar vom VG
an das Bundesamt übersandt worden, in den Gerichtsakten selbst jedoch
nicht enthalten. Dies rechtfertigt den Schluss, dass das VG die von den
Bf ausdrücklich vorgetragene formlose Zuleitung des Bescheids am 14.
Dezember 1994 bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Klage nicht in
Erwägung gezogen hat.
Die Kammer führt weiter aus, dass das Urteil des VG Chemnitz auf dem
festgestellten Gehörsverstoß beruht. Legt man den Eingang des Bescheids
beim Bundesbeauftragten in den Tagen nach dem 14. Dezember 1994 zu
Grunde, hätte das VG nach eigener Auffassung die Möglichkeit einer
Verwirkung des Klagerechts des Bundesbeauftragten näher prüfen müssen.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Einwand des
Bundesbeauftragten, er habe jedenfalls von dem formlos zugestellten
Bescheid keine Kenntnis genommen. Denn der Bundesbeauftragte für
Asylangelegenheiten (§ 6 AsylVfG) ist verpflichtet, auch ablehnende
Asylbescheide zur Kenntnis zu nehmen. Seine Auffassung, formlos
zugeleitete - ablehnende - Bescheide nicht zur Kenntnis nehmen zu
müssen, verkennt seine Aufgaben. Der Bundesbeauftragte soll als
Korrektiv gegenüber den weisungsungebundenen Entscheidungen des
Bundesamtes dienen, auf eine einheitliche Entscheidungspraxis der
Gerichte hinwirken sowie Fragen grundsätzlicher Bedeutung einer ober-
oder höchstrichterlichen Klärung zuführen. Dies schließt ein
Tätigwerden sowohl zu Lasten wie auch zu Gunsten von Asylbewerbern ein.
Die zu beobachtende einseitige Praxis des Bundesbeauftragten, nur zu
Lasten der Asylbewerber gegen ganz oder teilweise stattgebende
Entscheidungen vorzugehen, wird dem gesetzgeberischen Auftrag nicht
gerecht. Dies kann auch durch den Hinweis auf eine beschränkte
personelle Ausstattung nicht gerechtfertigt werden.
Das VG wird nun zu prüfen haben, ob der Bundesbeauftragte noch zulässig
Klage erheben konnte.
Beschluss vom 19. Dezember 2000 - Az. 2 BvR 143/98 -