NACHBARSCHAFTSRECHT
Zurückschneiden von Hecken in der Vegetationszeit erlaubt
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Dies hat jetzt der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe entschieden und damit eine anderslautende Entscheidung des Amtsgerichts Karlsruhe vom September 2001 aufgehoben.
Der Betroffene - ein 62jähriger Landwirt aus dem Kreis Karlsruhe - hatte im Sommer 2000 eine Ligusterhecke, deren Äste bis zu vier Metern vom Nachbargrundstück in sein landwirtschaftlich genutztes Grundstück hineinragten, über eine Länge von 120 Metern zurückgeschnitten, weil die Überhänge die Benutzung des angrenzenden Weges mit landwirtschaftlichen Maschinen behinderten.
Wie die Verwaltungsbehörde zuvor hat das Amtsgericht Karlsruhe hierin einen fahrlässigen Verstoß gegen das Naturschutzgesetz Baden-Württemberg (NatSchG) erblickt und gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von DM 150 (€ 76,94) verhängt. Nach Ansicht des Amtsgerichts ist das Zurückschneiden von Hecken in der Zeit vom 01. März bis 30. September ohne behördliche Erlaubnis verboten (§ 29 Abs. 3 Nr. 1 NatSchG).
Anders nun der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die gegen dieses Urteil vom Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde: Danach unterfällt das bloße Zurückschneiden von Hecken ohne schädigenden Eingriff in deren Substanz nicht der Verbotsnorm des § 29 Abs. 3 Nr. 1 NatSchG.
Nach dieser Vorschrift ist es in der Zeit vom 01. März bis 30. September verboten, Hecken, lebende Zäune, Bäume, Gebüsche, Röhrichtbestände zu roden, abzuschneiden oder auf andere Weise zu zerstören. Zwar könne - so der Senat - der Begriff des „Abschneidens einer Hecke“ bei isolierter Betrachtung auch so verstanden werden, dass schon das Abtrennen einer Mehrzahl von Ästen genüge. Zu berücksichtigen sei jedoch der Zusammenhang, in welchem der Begriff stehe. Der Gesetzgeber habe nämlich diese Formulierung in Beziehung zu weiteren Tatbestandsmerkmalen, nämlich dem des „Rodens“ und des auf „andere Weise Zerstörens“ gesetzt und so Vorgaben für dessen Auslegung gegeben. Auch der Begriff des „Abschneidens“ erfordere daher einen ähnlich erheblichen Substanzeingriff. Ein solcher liege aber nur vor, wenn eine Hecke durch den Rückschnitt entweder vollständig eingeebnet werde oder durch den Eingriff ihren Charakter als Hecke verliere, weil sie nach ihrem äußeren Erscheinungsbild - etwa wegen des zu starken Rückschnitts oder des Entfernens wesentlicher Teile - nicht mehr einer solchen entspreche und damit auch ihre Eignung als Nist- und Brutstätte für Vögel verloren gehe.
Einen derart schweren Eingriff hatte der Betroffene durch den Rückschnitt der Überhänge aber nicht begangen, da sich die Hecke innerhalb eines Jahres wieder gut erholt hatte. Die Sache muss aber gleichwohl erneut vor dem Amtsgericht Karlsruhe verhandelt werden. Das Amtsgericht habe nämlich - so der Senat - nicht geprüft, ob es sich bei der Ligusterhecke als sog. Feldhecke um ein besonders geschütztes Biotop i.S.d. §§ 24 a Nr. 6, 64 Abs.1 Nr. 4 a i.V.m. Nr. 6.1 der Anlage zu § 24 a NatSchG handeln könnte, in welches auch Eingriffe verboten sind, die zu einer erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigung des Biotops führen können.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 03.07.2002, 1 Ss 266/01
Hinweis:
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nur, ob der Betroffene durch den Rückschnitt der Hecke eine Ordnungswidrigkeit nach dem NatSchG begangen hat, nicht aber die Frage, ob der Landwirt gegenüber seinem Nachbarn zum eigenmächtigen Rückschnitt zivilrechtlich berechtigt war.
Nach § 910 BGB darf der Eigentümer eines Grundstücks vom Nachbargrundstück überragende Zweige abschneiden, nachdem dem Eigentümer oder Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt und diese fruchtlos verstrichen ist. Ein Recht zum Betreten des Nachbargrundstücks folgt hieraus aber nicht (LG München Urt. v. 10.03.1987, 2 S 2115/1987).
Hinweis auf den Gesetzestext:
§ 29 NatSchG (Allgemeiner Schutz der Pflanzen und Tiere)
(1) ...
(2) ...
(3) In der Zeit vom 01. März bis 30. September ist es unbeschadet weitergehender Rechtsvorschriften in den Rechtsverordnungen nach § 21 bis 25 verboten
1. Hecken, lebende Zäune, Bäume, Gebüsche, Röhrichtbestände zu roden, abzuschneiden oder auf andere Weise zu zerstören oder
2. Bäume mit Horsten oder Bruthöhlen zu fällen oder zu besteigen.
(4) .....
§ 24 a NatSchG (Besonders geschützte Biotope)
(1) Die folgenden Biotope in der in der Anlage zu diesem Gesetz beschriebenen Ausprägung sind besonders geschützt:
1.- 5 ...
6. Feldhecken, Feldgehölze, Hohlwege, Trockenmauern und Steinriegel, jeweils in freier Landschaft.
(2) Alle Handlungen, die zu einer Zerstörung oder erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigung der besonders geschützten Biotope führen können, sind verboten. Weitergehende Verbote in Rechtsverordnungen und Satzungen über geschützte Gebiete
und Gegenstände bleiben unberührt.
(3) ....
Anlage 6.1 zu § 24 a NatSchG
Feldhecken und Feldgehölze sind kleinere oft linienhafte Flächen in der Feldflur, die von Bäumen und Sträuchern bestockt sind und nicht Wald i.S.d. Landeswaldgesetzes sind. Nicht erfasst sind Feldgehölze von weniger als 250 qm Fläche sowie Hecken von weniger als 20 m Länge; unbestockte Zwischenräume von weniger als 1 m werden bei Hecken mitgerechnet. ......