ARZTRECHT
Durch Hygieneverstoß verursachte tödliche Infektion
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"Kontaminierte Injektion"
LG München I, Urteil vom 07.07.2004, Az.: 9 O 18834/00
Der Ehemann der Klägerin war wegen Beschwerden im linken oberen Sprunggelenk seit mehreren Jahren in der orthopädischen Praxis des Beklagten in Behandlung. Zur schmerzlindernden Therapie wurde regelmäßig ein Präparat intraartikulär injiziert. Nachdem er zuvor gestolpert war, begab er sich wegen massiver Schmerzen im linken Sprunggelenk am 15.6.1998 erneut in die Praxis des Beklagten. Dort erhielt er die übliche Injektion. Die unerkannt mit Streptokokken der Gruppe A infizierte Arzthelferin hatte am Morgen ohne Mundschutz und sterile Handschuhe die Spritze "en bloc" mit sämtlichen am Tag zu verabreichenden Spritzen aufgezogen; sie wurden ausschließlich bei Raumtemperatur im Behandlungsraum aufbewahrt.
Als am nächsten Tag bei dem Patienten keine Besserung eintrat, veranlasste der Beklagte die stationäre Einweisung. Im Krankenhaus wurde zunächst eine Unterschenkelthrombose links und nachfolgend eine Durchblutungsstörung des linken Beins festgestellt. Im Zuge der Untersuchungen wurden Streptokokken der Gruppe A nachgewiesen. In der Nacht zum 18.6.1998 musste eine Oberschenkelamputation durchgeführt werden. Anschließend wurde der Patient auf die Intensivstation verlegt. Dort verstarb er noch am Vormittag infolge septischen Multiorganversagens, verursacht durch eine Streptokokkeninfektion.
In unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang kam es zu einem weiteren Todesfall sowie vier weiteren Infektionsfällen nach in der Praxis des Beklagten verabreichten intraartikulären Injektionen.
Die für Arzthaftungssachen zuständige 9. Zivilkammer des Landgerichts München I hat die auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld gerichtete Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet.
Die Vorbereitung der Spritzen "en bloc" am Morgen und die anschließende ungekühlte Lagerung stellen einen Verstoß gegen Hygienevorschriften dar. Die einschlägigen Richtlinien sehen eine Ampullenöffnung und Injektionszubereitung kurz vor der Injektion vor. Damit soll etwa bei mangelhafter Asepsis während des Aufziehens die Ausbreitung einer Kontamination auf mehrere Spritzen hintereinander verhindert werden.
Der Hygieneverstoß hat nach Auffassung des Gerichts die tödliche Infektion herbeigeführt. Vor dem Hintergrund der Infektion weiterer Patienten und des risikoerhöhenden Liegenlassens der Spritzen kann der Beklagte sich nicht auf die fernliegende Möglichkeit berufen, die Kontamination der Spritze sei nicht auf das Aufziehen "en bloc" zurückzuführen. Er ist damit für das eingetretene Infektionsgeschehen verantwortlich und zum Schadensersatz verpflichtet.