FAMILIENRECHT
Kindeswohl geht dem Elternwohl vor
Experten-Branchenbuch.de,
zuletzt bearbeitet am:
Karlsruhe (jur). Das Kindeswohl hat Vorrang vor dem Umgangsrecht des leiblichen Vaters mit seinem Kind. Auch wenn eine mögliche Kindeswohlgefährdung auf die dauerhafte Weigerung und psychische Widerstände und Ängste der rechtlichen Eltern zurückgeht, kann dem leiblichen Vater den Umgang mit seinem Kind untersagt werden, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe in einem am Mittwoch, 10. Juni 2015, veröffentlichten Beschluss (Az.: 20 UF 63/13).
Konkret ging es um einen Flüchtling aus Nigeria, der 2003 nach Deutschland einreiste. Er unterhielt kurz darauf eine Liebesbeziehung zu einer verheirateten Frau. Der Ehemann erfuhr davon im September 2004 und duldete zunächst die Affäre. Anfang 2005 wurde die Frau von dem Asylbewerber mit Zwillingen schwanger. Sie trennte sich von ihm und blieb weiter verheiratet.
Als die Kinder Ende 2005 geboren wurden, wurde nach den gesetzlichen Bestimmungen automatisch der Ehemann der Mutter der rechtliche Vater. Der leibliche Vater wollte aber ebenfalls von Anfang an Kontakt zu den Zwillingen aufbauen.
Doch dazu kam es nicht. Die rechtlichen Eltern lehnten dies ab. Die Kinder wüssten nicht, dass er der leibliche Vater sei. Sein „Eintreten“ in die Familie würde die Kinder verstören und das Familienzusammenleben aller „erheblich beeinträchtigen“. Dies bliebe nicht ohne Folgen für das Wohlergehen der Kinder. Möglicherweise wolle er nur deshalb den Umgang mit den Zwillingen, um einen Aufenthaltsstatus in Deutschland zu begründen.
Vom Familiengericht Baden Baden angeordnete Umgangskontakte wurden vom OLG Karlsruhe 2006 wieder gekippt. Ein Umgangsrecht eines leiblichen Vaters, welcher nicht in einer „sozial-familiären Beziehung zu dem Kind steht oder gestanden hat“, sei nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen nicht vorgesehen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sah darin einen Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Urteil vom 21. Dezember 2010, Az.: 20578/07; vergleiche auch Urteil und JurAgentur-Meldung vom 22. März 2012, Az.: 45071/09 und 23338/09). Danach müsse einem Mann „im Kindeswohlinteresse“ Umgang zu seinen leiblichen Kindern gewährt werden, auch wenn er nicht rechtlicher Vater sei.
Doch hier dient der Umgang des Nigerianers nicht dem aktuellen Kindeswohl, so das OLG in seinem Beschluss vom 1. Juni 2015. Dass der Vater keinen Kontakt zu seinen Kindern habe, sei ihm aber nicht vorzuwerfen. Er habe sich stets um Umgang bemüht, nur die rechtlichen Eltern hätten dies immer verweigert.
Voraussetzung für das Umgangsrecht sei es, dass dieses dem Kindeswohl dient. In welche familiären Zusammenhänge der leibliche Vater lebt und welcher Arbeit er nachgeht, wirke sich auf Umgangskontakte nicht nachteilig aus. Selbst mangelnde Deutschkenntnisse und etwa fehlende erzieherische Fähigkeiten könnten durch eine Umgangsbegleitung kompensiert werden.
Auch dass die Zwillinge nichts von ihrem leiblichen Vater wissen, habe derzeit keine negativen Auswirkungen auf das Kindeswohl.
Dieses werde aber wohl beeinträchtigt wenn die Eheleute als rechtliche Eltern dazu gerichtlich gezwungen würden, den Umgang mit dem leiblichen Vater zu erlauben. Sie müssten dann auch zwangsläufig die Kinder über ihren leiblichen Vater aufklären. Es bestehe hier die große Gefahr, dass die rechtlichen Eltern mit dieser Situation überfordert wären. Dies könne „sich negativ auf den bisher bestehenden stabilen familiären Rahmen auswirken“, in dem die Kinder lebten.
Ein Sachverständiger hatte zudem auf die Gefahr hingewiesen, dass die Ehefrau bei der Durchsetzung von Umgangskontakten „dekompensiert bis hin zu einem Nervenzusammenbruch“. Die hieraus sich ergebenden negativen Auswirkungen auf das Familiensystem gefährdeten auch das Kindeswohl.
Die mangelnde Belastbarkeit eines bestehenden Familienverbandes könne daher negative Auswirkungen auf das Kindeswohl haben, so das OLG. Dies stehe dann dem Umgangsrecht des leiblichen Vaters entgegen.
Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage