POLIZEI- UND ORDNUNGSRECHT
Polizeiliche Datenauswertung in Hessen und Hamburg verfassungswidrig
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Bundesverfassungsgericht © Symbolgrafik:© U. J. Alexander - stock.adobe.com
Karlsruhe (jur). Der Polizei ist zur Vorbeugung von Straftaten eine automatisierte Auswertung von Daten von Bürgerinnen und Bürgern nur mit klaren Vorgaben erlaubt. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom Donnerstag, 16. Februar 2023 entschieden (Az.: 1 BvR 1547/19 und 1 BvR 2634/20). Die Karlsruher Richter erklärten damit hamburgische Regelungen über die Datenverarbeitung der Polizei für nichtig, hessische Vorschriften dürfen unter Auflagen noch bis zum 30. September 2023 angewandt werden.
In beiden Bundesländern wurden die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Polizei automatisiert verschiedene Dateien und Datenquellen miteinander verbinden beziehungsweise auswerten darf. So können etwa Zusammenhänge zwischen Personen, Personengruppen, Institutionen, Organisationen, Objekten und Sachen hergestellt werden.
Auf diese Weise sollen insbesondere in Bereichen terroristischer und extremistischer Gewalt und der organisierten Kriminalität Anhaltspunkte für bevorstehende schwere Straftaten entdeckt werden. Die automatisierte Datenanalyse und -auswertung sei erforderlich, da die in den polizeilichen Datenbeständen enthaltenen Informationen unter Zeitdruck kaum manuell gewonnen werden könnten, so die Begründung für die umfassenden Polizeibefugnisse.
Die Beschwerdeführer, darunter die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die Humanistische Union und die Deutsche Journalistinnen und Journalisten-Union rügten, dass mit dem Data-Mining auch unbescholtene Bürgerinnen und Bürger ins Visier der Polizei geraten könnten. Einer der Beschwerdeführer, der Journalist und Marburger Regionalvorsitzende der Humanistischen Union, Franz-Josef Hanke sagte: „Als Journalist wie auch in meinem Ehrenamt in der Humanistischen Union bin ich auf vertrauliche Kontakte angewiesen. Wenn keiner abschätzen kann, was die Polizei alles weiß und womöglich durch Datenverknüpfung erfährt, dann trauen sich manche Menschen nicht mehr, mit mir zu sprechen.“
Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass die automatisierte Datenanalyse für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten zwar grundsätzlich möglich sei. Der Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung müsse aber verhältnismäßig sein.
Der Gesetzgeber müsse wenigstens eine konkretisierte Gefahr „für besonders gewichtige Rechtsgüter“ benennen oder die „zugelassenen Analyse- und Auswertungsmöglichkeiten normenklar und hinreichend bestimmt in der Sache“ eng begrenzen.
In Hamburg und Hessen seien die polizeilichen Befugnisse zur automatisierten Datenverarbeitung und -auswertung aber kaum begrenzt worden. Sie würden so weit reichen, dass „mit einem Klick umfassende Profile von Personen, Gruppen und Milieus“ erstellt werden könnten und „auch zahlreiche rechtlich unbeteiligte Personen weiteren polizeilichen Maßnahmen“ unterzogen werden.
In beiden Ländern habe der Gesetzgeber auch nicht eingegrenzt, welche Methoden der Analyse und Auswertung erlaubt sind. So sei ein „Data-Mining“ bis hin zur Verwendung selbstlernender System, einer Künstlichen Intelligenz, möglich.
Die hessischen Regelungen würden noch nicht einmal auf die Identifizierung einer wenigstens konkretisierten Gefahr abstellen. Dies sei aber erforderlich, so das Bundesverfassungsgericht. Die Polizeibehörden in Hessen dürften daher nur noch bis zum 30. September 2023 die automatisierte Datenauswertung durchführen. Dies sei dann erlaubt, wenn ein konkreter Verdacht einer schweren Straftat vorliegt, die Leib, Leben oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet. Da in Hamburg die Polizeibehörden von ihren Befugnissen noch keinen Gebrauch gemacht haben, wurden die Regelungen vom Bundesverfassungsgericht gleich für nichtig und damit nicht für anwendbar erklärt.
Mit Beschluss vom 9. Dezember 2022 hatten die Verfassungsgericht bereits weitreichende Polizeibefugnisse zur Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern in Mecklenburg-Vorpommern für verfassungswidrig erklärt (Az.: 1 BvR 1345/21; JurAgentur-Meldung vom 1. Februar 2023). Konkret ging es um den Einsatz von V-Leuten, der Wohnraum- und Telekommunikationsüberwachung, Online- und Wohnraumdurchsuchungen und Rasterfahndungen. Das Bundesland habe nicht ausreichend den „Kernbereich der privaten Lebensgestaltung“ der Bürger geschützt. Auch hier sei für die Überwachungsmaßnahmen keine ausreichende konkretisierte Gefahr genannt worden.
Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage
Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock