AUSLäNDERRECHT
Zum Rechtsschutz bei Abschiebungshaft
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Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 5.
Dezember 2001 klar gestellt, dass in Abschiebungshaft genommene
Ausländer auch nach Beendigung der Haft Anspruch darauf haben, die
Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme gerichtlich vollständig überprüfen zu
lassen.
1. Der Entscheidung liegen drei Verfassungsbeschwerden (Vb) zugrunde.
Alle drei Beschwerdeführer (Bf) waren auf richterliche Anordnung in
Abschiebungshaft genommen worden und hatten hiergegen sofortige
Beschwerde eingelegt.
Der Bf zu 1 wurde nach einer Woche abgeschoben, das Landgericht (LG)
wies seine Beschwerde fünf Tage später als unzulässig zurück. Die
dagegen eingelegte sofortige weitere Beschwerde wurde vom
Oberlandesgericht (OLG) als unzulässig zurückgewiesen.
Die sofortige Beschwerde des Bf zu 2 wurde vom LG als unbegründet
zurückgewiesen. Dieser Bf wurde rund zwei Wochen später aufgrund einer
verwaltungsgerichtlichen Entscheidung aus der Haft entlassen. Das OLG
wies sein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des LG als unzulässig
zurück.
Der Bf zu 3 saß insgesamt rund ein Jahr in Abschiebungshaft. Nach einer
ersten Haftanordnung vom November wurde die Haft im April um drei
Monate verlängert. Das LG wies die dagegen eingelegte sofortige
Beschwerde zunächst als unbegründet zurück, diese Entscheidung wurde
vom OLG aufgehoben und das Verfahren an das LG zurückverwiesen. Dieses
wies die sofortige Beschwerde nach weiterer Sachaufklärung wiederum
zurück. Anschließend wurde erneute Sicherungshaft für weitere drei
Monate angeordnet, nach deren Ablauf der Bf zu 3 aus der Haft entlassen
wurde. Das OLG wies die sofortige weitere Beschwerde gegen die
Haftanordnung vom April als unzulässig zurück.
Alle OLG-Entscheidungen sind damit begründet, dass die Bf kein
Rechtsschutzbedürfnis für die Überprüfung der Haftanordnungen mehr
hätten, da die Haft aus unterschiedlichen Gründen im Zeitpunkt der
OLG-Entscheidung nicht mehr fortbestanden habe. Eine Fortsetzung der
Verfahren zu dem Zweck, die Rechtswidrigkeit der angefochtenen
Entscheidungen nach deren Erledigung festzustellen, sei im Verfahren
der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht vorgesehen. Hier dienten
Rechtsmittel lediglich dazu, eine noch vorhandene Beschwer zu
beseitigen. Zwar sei von der Rechtsprechung in verschiedenen Fällen
eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung zugelassen worden, etwa bei
der Wohnungsdurchsuchung oder der präventiven Ingewahrsamnahme. Die
Abschiebungshaft dauere jedoch typischerweise so lange, dass die Gefahr
des Leerlaufens der eröffneten Rechtsmittel nicht bestünde. Dabei sei
nicht auf Einzelfälle, sondern darauf abzustellen, ob die Maßnahmen
ihrer Natur nach häufig vor gerichtlicher Überprüfung schon wieder
beendet seien.
2. Der Zweite Senat hat die Vb für zulässig und begründet erklärt. Zwar
war die Abschiebungshaft jeweils beendet, wegen des schwerwiegenden
Grundrechtseingriffs in Gestalt der Freiheitsentziehung haben die Bf
jedoch ein schutzwürdiges Interesse daran, die Rechtswidrigkeit dieser
Maßnahmen auch nach ihrer Beendigung feststellen zu lassen.
Der Senat wiederholt seine Rechtsprechung, dass aus Art. 19 Abs. 4 GG
- der Garantie effektiven Rechtsschutzes - kein Anspruch darauf folgt,
dass die jeweilige Prozessordnung einen Instanzenzug vorsieht. Ist aber
eine Rechtsmittelinstanz in der einschlägigen Prozessordnung
vorgesehen, darf das Rechtsmittelgericht diese nicht so auslegen, dass
die Möglichkeit, alle gerichtlich vorgesehenen Entscheidungen zu
erlangen, praktisch leer läuft.
Grundsätzlich ist es mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes vereinbar,
wenn von den Gerichten ein Rechtsschutzbedürfnis als Voraussetzung für
die Zulässigkeit eines Antrages verlangt wird. Auch begegnet es keinen
grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, den Wegfall dieses
Rechtsschutzinteresses in der Regel anzunehmen, wenn die zugrunde
liegende Angelegenheit sich erledigt hat. Art. 19 Abs. 4 GG
gewährleistet nicht, dass die Gerichte Auskunft über die Rechtslage
geben, wenn dies praktisch keine Konsequenzen mehr hat. Anders liegt
der Fall jedoch, wenn der Betroffene ein schutzwürdiges
Feststellungsinteresse hat, z. B. weil Wiederholungsgefahr droht oder
eine diskriminierende Fortwirkung der Maßnahme zu befürchten ist.
Wie das Bundesverfassungsgericht schon bislang festgestellt hat, ist
ein Feststellungsinteresse bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen
insbesondere anzunehmen, wenn die angegriffene Maßnahme (z. B.
Wohnungsdurchsuchungen nach der StPO oder Freiheitsentziehungen nach
dem FGG) typischerweise nur so kurz dauert, dass die nach der
Prozessordnung vorgesehene letzte Instanz während dieser Zeit nicht
mehr erreicht werden kann.
So liegt der Fall bei Haft zur Sicherung der Abschiebung nicht; diese
wird in der Regel jeweils für drei Monate angeordnet (§ 57 Abs. 2
AuslG) und die Gerichte sind typischerweise in der Lage, während dieser
Zeit über Rechtsmittel zu entscheiden.
Bei der Freiheitsentziehung kann es hierauf jedoch nicht entscheidend
ankommen. Die Inhaftierung einer Person ist ein schwerwiegender
Eingriff in das besonders hochrangige Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz
2 GG. Zudem kann jede Inhaftierung eine diskriminierende Wirkung
entfalten, denn die staatlich angeordnete Freiheitsentziehung lässt
stets vermuten, dass der Betroffene sich rechtswidrig verhalten hat
oder zu verhalten beabsichtigt. Der Rechtsschutz gegen die jeden
Betroffenen im Kern seiner Persönlichkeit berührende
Inhaftierungsmaßnahme kann nicht davon abhängen, wann diese Maßnahme
sich erledigt oder ob nach der Prozessordnung typischerweise
Rechtsschutz vor Ende der Haft erlangt werden kann. Vielmehr besteht im
Hinblick auf das bei Freiheitsentziehungen gegebene
Rehabilitierungsinteresse ein schutzwürdiges Interesse an der
Feststellung der Rechtswidrigkeit einer solchen Maßnahme auch nach
deren Beendigung.
Die Oberlandesgerichte durften daher die Rechtsmittel in den
Ausgangsverfahren nicht wegen angeblichen Fortfalls des
Rechtsschutzinteresses als unzulässig verwerfen. Das
Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidungen aufgehoben und die
Verfahren an die zuständigen Gerichte zurückverwiesen.
BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2001 - Az. 2 BvR 527/99 u. a. -