AUSLäNDERRECHT
Keine Ausreise eines Flüchtlings, um mit Visum einreisen zu können
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Keine Ausreise eines Flüchtlings, um mit Visum einreisen zu können © Symbolgrafik:© Björn Wylezich - stock.adobe.com
Karlsruhe (jur). Die Ausländerbehörde darf nicht ohne Weiteres von einem abgelehnten Asylbewerber und Vater von zwei in Deutschland geborenen Kindern die Ausreise zur Einholung eines Visums für den Familiennachzug verlangen. Dies ist unverhältnismäßig und verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Schutz der Familie, wenn überhaupt nicht klar ist, ob oder wann der ausgereiste Flüchtling wieder zu seinen kleinen Kindern zurückkommen kann, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Montag, 4. Dezember 2023, veröffentlichten Beschluss (Az.: 2 BvR 441/23).
Im konkreten Fall ging es um einen äthiopischen abgelehnten Asylbewerber und Vater von zwei 2015 und 2021 in Deutschland geborenen Töchtern. Der Mann übt zusammen mit der getrennt lebenden, als Flüchtling anerkannten Mutter das gemeinsame Sorgerecht aus.
Am 8. Juni 2022 teilte ihm die Regierung von Unterfranken als zuständige Ausländerbehörde mit, dass seine bisherige Duldung „erloschen“ sei. Als Reinigungskraft weiter arbeiten dürfe er nicht mehr. Da er über Reisedokumente verfüge, müsse er ausreisen. Er könne zwar wegen seiner in Deutschland rechtmäßig lebenden Töchter einen Aufenthaltstitel im Rahmen eines Familiennachzugs erhalten. Hierfür müsse er aber zunächst ein entsprechendes Visum bei der Deutschen Botschaft in Äthiopien beantragen. Erst dann könne er wieder nach Deutschland zurückkehren.
Der grundrechtliche Schutz auf familiäre Bindung stehe der Nachholung des Visumverfahrens zum Familiennachzug nicht entgegen, entschied auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH), der damit den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ablehnte. Dem Vater sei eine Trennung von voraussichtlich sechseinhalb Monaten von seiner Familie zuzumuten. Zudem sei „angesichts der überschaubaren Abwesenheitsdauer des Beschwerdeführers nicht zwingend davon auszugehen, dass er seine derzeitige Wohnung aus finanziellen Gründen aufgeben“ müsse, so der VGH.
Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hatte weitgehend Erfolg. Die Fachgerichte haben den verfassungsrechtlichen Schutz der Familie und das Kindeswohl nicht ausreichend beachtet, entschied das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 2. November 2023. Zwar sei es durchaus mit dem Grundgesetz vereinbar, dass ein Ausländer für den gewünschten Aufenthaltstitel das erforderliche Visum beantragt, hier zum Familiennachzug. Auch müsse der damit verbundene Zeitablauf regelmäßig hingenommen werden.
Die „Pflicht des Staates, die Familie zu schützen“, könne aber Vorrang vor einwanderungspolitischen Belangen haben. Ist für das Kind die Beziehung zu seinem Vater und dessen Erziehung von großer Bedeutung, könne die vorübergehende Trennung unverhältnismäßig und unzumutbar sein. So würden gerade kleine Kinder eine monatelange Trennung von ihrem Vater nicht begreifen und dies als endgültigen Verlust erfahren.
Hier hätten die Fachgerichte noch nicht einmal eine „belastbare Prognose“ gegeben, ob der Ausländer das Visumverfahren erfolgreich durchlaufen werde. Der schlichte Verweis auf eine „überschaubare Abwesenheitsdauer“ reiche nicht. Es sei offensichtlich, dass der Beschwerdeführer ohne laufende Einkünfte seine Wohnung dann nicht halten kann. Ein Visum zum Familiennachzug setze aber „ausreichenden Wohnraum“ voraus.
Zudem sei gar nicht geprüft worden, ob wegen der Integration des Mannes in Deutschland auf das Visumverfahren gänzlich verzichtet werden könne. Dies soll der VGH München nun nachholen.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock