ZIVILRECHT
Zur Verwertbarkeit von Zeugenaussagen über rechtswidrig mitgehörte Telefongespräche
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Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat den
Verfassungsbeschwerden (Vb) zweier Beschwerdeführer (Bf) stattgegeben,
in denen es um die zivilgerichtliche Verwertbarkeit von Zeugenaussagen
über den Inhalt von Telefongesprächen ging. Die Zeugen hatten die
Telefonate zwischen dem jeweiligen Bf und dessen Vertragspartner über
eine Mithörvorrichtung mitverfolgt, ohne dass die Bf davon wussten. In
den inhaltlich umstrittenen Telefonaten war es um die Rückabwicklung
eines Kaufvertrags zwischen einem der Bf und seinem Käufer sowie um
Abfindungsansprüche aus einem Mietverhältnis zwischen dem anderen Bf
und seinem Vermieter gegangen. Der Käufer und der Vermieter hatten sich
in den folgenden Zivilprozessen gegenüber dem Bf zum Beweis für ihre
Darstellung des für den Prozessausgang erheblichen Inhalts der
Telefongespräche jeweils auf den Zeugen berufen, der dieses Telefonat
über eine Freisprechanlage mitgehört hatte. Die jeweilige
Berufungsinstanz hatte auf Grund dieser Zeugenaussagen jeden Bf
antragsgemäß verurteilt. Dagegen richteten sich die Vb. Die Bf sehen
sich in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Außerdem
wurde die Verletzung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit des
Fernmeldegeheimnisses gerügt.
Der Erste Senat stellt fest, dass die Gerichte durch die Vernehmung der
Zeugen und die Verwertung ihrer Aussagen das verfassungsrechtlich
gewährleistete Recht am gesprochenen Wort als Teil des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts der Bf verletzt haben. Die Entscheidungen wurden
aufgehoben und an das jeweilige Berufungsgericht zur Neuverhandlung
zurückverwiesen.
Der Senat führt im Wesentlichen aus:
1. Die Bf werden nicht in ihrem Grundrecht auf Wahrung des
Fernmeldegeheimnisses verletzt. Das Grundrecht des
Fernmeldegeheimnisses begründet ein Abwehrrecht gegen die Kenntnisnahme
des Inhalts und der näheren Umstände der Telekommunikation durch den
Staat und einen Auftrag an den Staat, Schutz auch insoweit vorzusehen,
als private Dritte sich Zugriff auf die Kommunikation verschaffen.
Dieser Schutz erstreckt sich auch auf die von Privaten betriebenen
Telekommunikationsanlagen. Dieser Schutzbereich ist jedoch nicht
betroffen, wenn einer der Gesprächsteilnehmer einen Dritten auf Grund
einer technischen Einrichtung mithören lässt. Das Grundrecht des
Fernmeldegeheimnisses schützt nämlich nicht das Vertrauen der
Kommunikationspartner untereinander, sondern die Vertraulichkeit der
Nutzung des zur Nachrichtenübermittlung eingesetzten technischen
Mediums.
2. Das Grundgesetz schützt neben dem Recht am eigenen Bild auch das
Recht am gesprochenen Wort. Dieses Recht, auf das sich auch eine
juristische Person des Privatrechts berufen kann, gewährleistet die
Selbstbestimmung über die eigene Darstellung der Person in der
Kommunikation mit anderen. Dazu gehört das Recht, selbst die Auswahl
der Personen zu bestimmen, die Kenntnis vom Gesprächsinhalt erhalten
sollen. Das Grundgesetz schützt deshalb davor, dass Gespräche heimlich
aufgenommen und ohne Einwilligung des Sprechenden oder gar gegen dessen
erklärten Willen verwertet werden. Der Schutz des Rechts am
gesprochenen Wort ist dabei unabhängig von den Kommunikationsinhalten
oder einer Vertraulichkeitsvereinbarung.
Die Erhebung und Verwertung der Zeugenaussagen durch die Gerichte
greifen in den Schutzbereich des Rechts am gesprochenen Wort ein. Die
Gesprächspartner der Bf missachteten das von diesen ausgeübte
Selbstbestimmungsrecht, als sie Dritte unerkannt mithören ließen. Auch
bei der Klärung der Frage, ob die Bf das Mithören stillschweigend
gebilligt hätten oder damit hätten rechnen müssen, haben die Gerichte
das grundrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht der
Gesprächsteilnehmer nicht hinreichend berücksichtigt. Um eine
stillschweigende Einwilligung annehmen zu können, hätte das Gericht
feststellen müssen, dass eine technisch mögliche Nutzung zum Mithören
unter den gegebenen Bedingungen des sozialen, geschäftlichen oder
privaten Kommunikationsverhaltens so verstanden wird, dass einem
Dritten ohne Zustimmung sämtlicher Gesprächspartner das heimliche
Zuhören des Gesprächs ermöglicht werden darf, sofern nicht vorsorglich
von allen widersprochen wird. Daran fehlt es hier aber.
Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Bf ist
verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Dies ergibt das Ergebnis der
Abwägung zwischen dem gegen die Verwertung streitenden allgemeinen
Persönlichkeitsrecht einerseits und einem für die Verwertung
sprechenden rechtlich geschützten Interesse andererseits. Allein das
allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Straf- und
Zivilrechtspflege setzt sich aber in dieser Abwägung nicht
grundsätzlich gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch. Vielmehr
muss sich aus weiteren Aspekten ergeben, dass das Interesse an der
Beweiserhebung trotz der Persönlichkeitsbeeinträchtigung
schutzbedürftig ist. Dies kann bei der Aufklärung schwerer Straftaten,
einer Notwehrsituation oder notwehrähnlichen Lage der Fall sein. Allein
das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu
sichern, reicht aber nicht aus. Anhaltspunkte für eine solche
besondere Situation fehlen in den vorliegenden Fällen.
BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96 - und - 1 BvR 805/98 -