EU-RECHT
Abgeschaffte polnische Disziplinarkammer lebt teils noch fort
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EuGH gegen polnische Disziplinarkammer © Zerbor - adobe.stock.com
Luxemburg (jur). Polen hat seine „Disziplinarkammer für hohe Richter“ zwar abgeschafft, deren Auswirkungen aber noch nicht vollständig beseitigt. Mit Beschluss vom Freitag, 21. April 2023, hob der Vizepräsident des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg das 2021 gegen Polen festgesetzte Zwangsgeld daher nicht auf, halbierte es aber auf nun 500.000 Euro pro Tag (Az.: C-204/21 R-RAP).
Mit einem im April 2018 in Kraft getretenen Gesetz hatte Polen die am Obersten Gericht angesiedelte Disziplinarkammer neu aufgestellt. Deren Zusammensetzung und auch ihre umfassende Zuständigkeit waren daraufhin seitens der EU mehrfach als nicht rechtsstaatlich kritisiert worden (vergleiche EuGH-Urteil und JurAgentur-Meldung vom 19. November 2019, Az.: C-585/18 und weitere).
Änderungen im Jahr 2020 reichten der EU-Kommission nicht aus. So habe die Kammer weiterhin die ausschließliche Zuständigkeit dafür, die Unabhängigkeit eines Richters oder eines Gerichts zu prüfen. Zudem könne sie unmittelbar in Status und Amtsausübung einzelner Richter eingreifen. Am 1. April 2021 reichte die Kommission daher beim EuGH ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein.
Ein solches Verfahren hat zwei Stufen: Zunächst prüft der EuGH, ob eine Vertragsverletzung vorliegt. Wenn die Luxemburger Richter dies bejahen und das Land sein Verhalten oder seine Gesetze trotzdem nicht ändert, kann die EU-Kommission beim EuGH ein Zwangsgeld beantragen. Beides ist auch vorläufig per einstweilige Anordnung möglich.
Mit Beschluss vom 14. Juli 2021 bestätigte im vorläufigen Verfahren die damalige Vizepräsidentin des EuGH, Rosario Silva de Lapuerta, die von der Kommission gerügte Vertragsverletzung. Auf Antrag der EU-Kommission setzte der am Oktober 2021 der neu gewählte Vizepräsident Lars Bay Larsen gegen Polen ein Zwangsgeld in Höhe von einer Million Euro täglich fest (Az.: C-204/21 R; JurAgentur-Meldung vom Entscheidungstag).
Nach weiteren Änderungen war Polen der Ansicht, die Anforderungen der EU an die Rechtsstaatlichkeit seien nunmehr erfüllt. Insbesondere war die umstrittene Disziplinarkammer im Juli 2022 aufgelöst worden. Am 10. März 2023 beantragte Polen daher, das Zwangsgeld aufzuheben oder zumindest herabzusetzen.
Mit seinem neuen Beschluss kam EuGH-Vizepräsident Lars Bay Larsen dem teilweise nach und halbierte das Zwangsgeld auf 500.000 Euro täglich.
Zur Begründung erklärte er, Polen sei den im Juli 2021 von seiner Vorgängerin aufgestellten Anforderungen „in beträchtlichem Umfang“ nachgekommen. Insbesondere sei die Disziplinarkammer abgeschafft worden. Die von Entscheidungen der Disziplinarkammer betroffenen Richter hätten teils verbesserte Rechtsbehelfsmöglichkeiten erhalten.
Dies reiche jedoch noch nicht aus. So seien die von der Disziplinarkammer erlassenen Entscheidungen nicht alle ausgesetzt worden. Auch die Regelungen, die Gerichte daran hindern, die Unabhängigkeit bestimmter Richter oder Gerichte anzuzweifeln, bestünden teilweise fort.
Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage
Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock